Dennis Hackethal’s Blog

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Discussion about ‘Schulzwang’

Dennis Hackethal ·

Koennen Sie etwas darueber sagen, wieso Sie Lehrerin geworden sind?

Roswitha Kant ·

Es war mir ein Anliegen, das Projekt Aufklärung nach dem Faschismus in Deutschland fortzuschreiben.

Dennis Hackethal ·

Sie sahen es also als Aufgabe Ihrer Generation – vermutlich im Zusammenhang der 69er-Bewegung –, dafuer zu sorgen, dass so etwas wie das Dritte Reich in Deutschland nie wieder geschehen kann, verstehe ich das richtig?

Dennis Hackethal ·

Oder vielleicht war es ‘68 …

Roswitha Kant ·

Stimmt, das war das Anliegen der 68iger, das selbstständige Denken zu fördern, damit so etwas wie blinder Gehorsam einer sog. Autorität gegenüber sich nicht mehr entfalten kann.

Dennis Hackethal ·

Der Faschismus zeichnet sich also durch blinden Gehorsam gegenueber einer Autoritaet aus. Das sollte verhindert werden – finde ich erstmal gut.

Sie sahen also in der Lehrerrolle die Moeglichkeit, den Faschismus in der naechsten Generation zu verhindern.

Roswitha Kant ·

Jedenfalls ging es, um das kritische Nachfragen und die Kompetenz, ein eigenes wohlbegründetes Urteil zu fällen und entsprechend verantwortungsbewusst zu handeln.

Dennis Hackethal ·

Gut, kritisches Nachfragen war ja bei den Nazis sicher nicht erlaubt.

Dennis Hackethal ·

Popper hat ja mal gesagt:

‘I may be wrong and you may be right,
and by an effort, we may get nearer to the truth.’

Karl Popper, The Myth of the Framework (p. xii), Taylor and Francis. Kindle Edition.

Und er schreibt auch:

It is perhaps of interest if I reveal that I owe the idea of formulating these two lines to a young Carinthian member of the National Socialist Party, neither a soldier nor a policeman, but wearing the Party uniform and a pistol. It must have been not long before the year 1933 – the year Hitler came to power in Germany – that this young man said to me: ‘What, you want to argue? I don’t argue: I shoot!’ He may have planted the seed of my Open Society.

Ibid. (p. xiii)
Roswitha Kant ·

Den ersten Satz verstehe ich nicht.

Dennis Hackethal ·

Popper sagt im Grunde: Du magst recht haben, und ich mag mich irren, und wenn wir uns Muehe geben, kommen wir der Wahrheit vielleicht naeher.

Dennis Hackethal ·

Ergibt das jetzt mehr Sinn?

Roswitha Kant ·

Nein, nicht wirklich. Das ist Ihre Umschreibung, die ich so nicht im Text entdecken kann,

Dennis Hackethal ·

Das ist keine Umschreibung, sondern eine wortgetreue Uebersetzung.

Roswitha Kant ·

Ich spreche vom zweiten Zitat, sorry.

Dennis Hackethal ·

Woran genau hapert es denn?

Roswitha Kant ·

Jetzt verstehe ich.

Dennis Hackethal ·

Woran hat es denn gehapert?

Roswitha Kant ·

Da ich das 1. Zitat nicht gelesen hatte, fehlte mir der Bezug zu Poppers Ansatz, nämlich dem möglichen Irrtum und der gemeinsamen Suche nach der Wahrheit.

Dennis Hackethal ·

Ah, verstehe. Ich wollte mit dem Zitat im Grunde nur meine Behauptung, dass man Nazis nicht widersprechen durfte, belegen.

Ich hatte ja geschrieben:

Gut, kritisches Nachfragen war ja bei den Nazis sicher nicht erlaubt.

Das meinte ich damit.

Interessant waere nun zu eroerten, ob dieses Ziel, dass Sie hatten, nicht einen Widerspruch in sich birgt.

Roswitha Kant ·

Worin könnte der Widerspruch bestehen?

Dennis Hackethal ·

Sie wollten den Faschismus ausrotten, doch haben dies mit faschistischen Mitteln probiert.

Roswitha Kant ·

Beschreiben Sie das “faschistische Mittel” genau! Was meinen Sie?

Dennis Hackethal ·

Ich finde, es lohnt sicht, das gemeinsam mit Fragen und Antworten zu erforschen. Nach meiner Erfahrung ist es besser, wenn meine Gespraechspartner zu ihren eigenen Schlussfolgerungen gelangen, als wenn ich ihnen vorgefertigte Schlussfolgerungen auftische.

Ich fange mal so an: Steht es Kindern in Deutschland frei, nicht zur Schule zu gehen?

Roswitha Kant ·

Deutsche Kinder müssen in der Regel ab 6 Jahre für 9 bzw. 10 Jahre in die Schule gehen, in der Regel für 5 Stunden von Montag bis Freitag; ausgenommen in 14 Wochen mit Ferien. In dieser Zeit sind sie von Arbeit freizustellen.

Dennis Hackethal ·

Die Antwort lautet im Klartext also ‘nein’, richtig?

Roswitha Kant ·

Die Spezifikation halte ich für unverzichtbar, denn es handelt sich um die Bewegungsfreiheit, die zeitweise befristet ist. Sie waren bis in die 80iger Jahre nachmittags, wo sie sein wollten und machen konnten, was sie wollten.

Dennis Hackethal ·

Mir scheint, Sie haben sich jetzt zweimal hintereinander um eine klare Antwort gedrueckt.

Ich hatte gefragt:

Ich fange mal so an: Steht es Kindern in Deutschland frei, nicht zur Schule zu gehen?

Das ist eine ganz einfache ja/nein Frage. Sie antworten aber nicht mit ‘ja’ oder ‘nein’, sondern implizieren lediglich das ‘nein’ und konzentrieren sich darauf, dieses ‘nein’ zu erklaeren.

Um klarer nach Klarheit zu fragen, habe ich daraufhin nachgefragt:

Die Antwort lautet im Klartext also ‘nein’, richtig?

Ihre Antwort daraufhin war wieder nicht besonders klar.

Wie wuerden Sie denn auf meine Frage “Steht es Kindern in Deutschland frei, nicht zur Schule zu gehen?” antworten, wenn Sie nur mit ‘ja’ oder ‘nein’ antworten koennten?

Roswitha Kant ·

Es steht ihnen nicht frei,

Dennis Hackethal ·

Also lautet die Antwort ‘nein’.

Roswitha Kant ·

Sie zwingen mir Ihre sog. einfache Frage auf, die ich zu undifferenziert finde, wie oben ausgeführt. Das lassen Sie nicht gelten, sondern beharren auf Ihrer einfachen Frage, auf die ich mit “nein” antworten muss, wobei die Komplexität der Schulsituation verloren geht.

Dennis Hackethal ·

Meine Frage war ja nicht ‘steht es Schuelern frei und wenn nein wieso nicht’. Es stand Ihnen dennoch frei, ‘nein, weil …’ zu schreiben. Es ist schwierig, etwas zu spezifizieren, das noch nicht klar gesagt wurde.

Aber egal, es steht Schuelern also nicht frei, nicht in die Schule zu gehen. Sie werden also dazu gezwungen, in die Schule zu gehen.

Was passiert denn mit einem Kind, das sich weigert?

Roswitha Kant ·

Ja, wenn Sie so wollen werden Kinder gezwungen, in die Schule zu gehen, anders gesagt, sie haben ein Recht darauf, grundlegende Kulturtechniken vermittelt zu bekommen. Wenn ein Kind sich weigert, werden Vermittlungsversuche unternommen, das Kind zur Schule zu bewegen. Wenn diese Bemühungen total fehlschlagen, was wohl sehr selten der Fall ist, wird das Kind in eine Art Internat gebracht oder andersweitig beschult. Es kommt also maßgeblich auf die pädagogischen Fähigkeiten der Lehrer an, Kindern die Schule interessant zu machen und davon zu überzeugen, dass sie einen großen Vorteil haben, wenn sie über bestimmte Kompetenzen verfügen.

Dennis Hackethal ·

wenn Sie so wollen

Relativieren Sie das bitte nicht. Das ist die knallharte Realitaet, mit der sich Kinder taeglich auseinandersetzen muessen.

[Kinder] haben ein Recht darauf, grundlegende Kulturtechniken vermittelt zu bekommen.

Das ergibt keinen Sinn. Wenn Sie ein Recht auf Essen haetten, waere es anderen dennoch nicht gestattet, Ihnen gegen Ihren Willen Essen in den Hals zu stopfen. Doch das geschieht jeden Tag in der Schule, nur mit Ideen statt mit Essen.

Es kommt also maßgeblich auf die pädagogischen Fähigkeiten der Lehrer an, Kindern die Schule interessant zu machen und davon zu überzeugen, dass sie einen großen Vorteil haben, wenn sie über bestimmte Kompetenzen verfügen.

Doch wenn das fehlschlaegt, kommt die Polizei, sammelt das Kind ein und faehrt es gegen seinen Willen zur Schule.

Beachten Sie also die Einstellung, die die Erwachsenen gegenueber dem Kind haben: Ist diese Einstellung eher die von der Sorte ‘Du magst recht haben, und ich mag mich irren, und wenn wir uns Muehe geben, kommen wir der Wahrheit vielleicht naeher’ – oder ist es eher die der Gewalt, wie die des Nazis aus Kärnten?

Roswitha Kant ·

knallharte Realitaet,

das ist eindeutig Ihre Sichtweise; es gibt Kinder, die gerne zur Schule gehen und nur eine Minderheit erlebt das als Zwang. Es gibt also zwei Realitäten- richtig?

Dennis Hackethal ·

das ist eindeutig Ihre Sichtweise; es gibt Kinder, die gerne zur Schule gehen und nur eine Minderheit erlebt das als Zwang. Es gibt also zwei Realitäten- richtig?

Nein, das sehe ich anders. Viele Kinder moegen es nicht als Zwang empfinden, aber das aendert nichts an der objektiven Existenz des Zwangs.

Eine notwendige Bedingung fuer die Abwesenheit von Zwang ist die Ruecksicht auf Zustimmung, wie ich sie nenne – ich habe dazu hier unter dem englischen Begriff regard for consent noch mehr geschrieben. Kurz: Das Opfer des Zwanges mag das Erzwungene sogar aktiv gutheissen (so wie es Erwachsene rueckblickend in puncto Schule oft tun), doch wenn derjenige, der den Zwang ausuebt, keine Ruecksicht nimmt, ist es dennoch Zwang.

Roswitha Kant ·

Das ergibt keinen Sinn. Wenn Sie ein Recht auf Essen haetten, waere es anderen dennoch nicht gestattet, Ihnen gegen Ihren Willen Essen in den Hals zu stopfen. Doch das geschieht jeden Tag in der Schule, nur mit Ideen statt mit Essen.

Der Faschismus wurzelt maßgeblich in der Unfähigkeit, selbstständig zu Denken. Das selbstständige Denken ist eine Fähigkeit, die entwickelt werden muss, sie ist nicht einfach da oder ist angeboren. Ohne schulische Aufklärung verharren Kinder in faschistischen Familien, von denen keine das freie Denken vermittelt. Unterricht mit Esszwang zu vergleichen ist abwegig. Keiner kann einen anderen zwingen zu denken. Solch ein Zwang war nie und konnte nie die Aufgabe von Schule sein. Man kann Leute drillen, das geschieht beim Militär, Das hat aber gerade nichts mit Denken zu tun, sondern mit blindem Gehorsam.

Roswitha Kant ·

die Abwesenheit von Zwang ist die Ruecksicht auf Zustimmung,

Darum geht es gerade: Der Lehrer muss die Zustimmung gewinnen, indem er interessanten Unterricht anbietet.

Dennis Hackethal ·

Das selbstständige Denken ist eine Fähigkeit, die entwickelt werden muss, sie ist nicht einfach da oder ist angeboren. Ohne schulische Aufklärung verharren Kinder in faschistischen Familien, von denen keine das freie Denken vermittelt.

Sie wollen Schueler also zum selbstaendigen Denken zwingen? Da ist der Widerspruch, von dem ich sprach.

Woher wollen Sie uebrigens wissen, dass alle Familien faschistisch sind?

Selbst wenn sie das sind (was ich ernsthaft bezweifle), kann es doch keine Loesung sein, den familiaeren Faschismus einfach durch den Faschismus in der Schule zu ersetzen?

In zumindest einer Hinsicht haben Sie recht – es gibt faschistische Familienstrukturen (nur glaube ich eben nicht, dass es alle Familien sind). Alice Miller schreibt beispielsweise (die Klammer auf fehlt im Original):

Hitler did not invent fascism; he found it, like so many of his contemporaries) prefigured in the totalitarian regime of his family.

Wenn der junge Hitler den Faschismus statt im Elternhaus in der Schule vorgefunden haette, wo genau laege da schon der Unterschied? Wenn wir Aufklaerung wollen, wollen wir keinen Faschismus, nirgendwo.

Unterricht mit Esszwang zu vergleichen ist abwegig.

Es ging mir darum aufzuzeigen, dass es hier keinen Sinn macht, von einem Recht zu sprechen, wenn jemandem tatsaechlich etwas aufgezwungen wird. Der Esszwang war eine Metapher, um das zu aufzuzeigen. Aufgezwungenes ist kein Recht. Was man nicht ablehnen kann, kann doch kein Recht sein.

Darum geht es gerade: Der Lehrer muss die Zustimmung gewinnen, indem er interessanten Unterricht anbietet.

Das muss der Lehrer offensichtlich nicht – auch wenn es ihm nicht gelingt, diese Zustimmung zu gewinnen, muessen die Schueler trotzdem weiter in die Schule.

Der Lehrer nimmt keine Ruecksicht auf die Zustimmung der Schueler, weil er auch Schueler unterricht, die nicht in der Schule sein wollen.

Da diese Ruecksicht fehlt, werden auch Schueler, die den Unterricht moegen, zu diesem Unterricht gezwungen. Ich verweise erneut auf meinen Artikel zu diesem Thema.

Schauen Sie mal, was Sie bereits als Zwang empfinden:

Sie zwingen mir Ihre sog. einfache Frage auf

Sie empfinden es als Zwang, wenn ich um ein klares ‘ja’ oder ‘nein’ auf eine Frage bitte. Ist die Schule, in die ein Kind ja physisch geschleppt werden kann, dann nicht Zwang hoch zehn?

Sie haben ganz am Anfang geschrieben:

Es war mir ein Anliegen, das Projekt Aufklärung nach dem Faschismus in Deutschland fortzuschreiben.

Ist der Wert der Selbstbestimmung nicht einer der Werte der Aufklaerung?

Beispielsweise wuerde man sagen, dass die Institution der Sklaverei in den USA nicht mit der Aufklaerung vereinbar war und deshalb mit der Institution der Selbstbestimmung ersetzt wurde.

Ich will die Schule nicht direkt mit der Sklaverei vergleichen, darum geht es nicht. Es ist nur so, dass der aufklaererische Wert der Selbstbestimmung Kindern aufgrund des Schulzwangs systematisch verweigert wird. Unter anderem deshalb sprach ich davon, dass es widerspruechlich ist, im Namen der Aufklaerung Lehrer zu sein.

Man kann nicht im Namen der Aufklaerung aufklaererische Werte verletzen.

In gewisser Weise haben Sie recht: Die Aufklaerung ist ganz wichtig. Nur nicht in dem Sinne, wie Sie meinen. Man kann Menschen, auch Kinder, nicht zum selbststaendigen Denken zwingen, ohne sich dabei selbst zu widersprechen: Wer gezwungen wird, ist unmoeglich selbststaendig.

Sarah Fitz-Claridge von Taking Children Seriously drueckt es so aus: Die Aufklaerung ist bei der Behandlung von Kindern leider noch nicht angekommen. Bei Schwarzen ist sie das; auch bei Frauen. Nur bei Kindern noch nicht. Das liegt an all den Zwaengen, die man ihnen aufbuerdet, und daran, dass sie nicht als vollwertige Personen anerkannt werden.

Meine Frage …

Beachten Sie also die Einstellung, die die Erwachsenen gegenueber dem Kind haben: Ist diese Einstellung eher die von der Sorte ‘Du magst recht haben, und ich mag mich irren, und wenn wir uns Muehe geben, kommen wir der Wahrheit vielleicht naeher’ – oder ist es eher die der Gewalt, wie die des Nazis aus Kärnten?

… steht noch aus.

Roswitha Kant ·

Sie wollen Schueler also zum selbstaendigen Denken zwingen?

Kein Mensch kann zum Denken gezwungen werden. Selbst wenn ich dem vorgesetzten Gedanken folge, entscheide ich mich; es ist meine Freiheit, der ich nicht entfliehen kann. Ich kann auch einfach abschalten; auch das ist meine freie Entscheidung. Wenn ich unbedingt selbst denken will, werde ich mich gegen den fremden Gedanken wehren, ich werde ihn als Zwang oder erzwungene Prägung entlarven, also selbst denken und für mich neue Einsichten gewinnen. Der Stein, der im Weg liegt, ist es, an dem ich mich abarbeite und dabei wachse, meine Selbsttätigkeit und Selbstwirksamkeit erfahre: Ich erlebe mich als freie Denkende.
Als Lehrerin wollte ich auch eine Zumutung sein, freilich eine attraktive!!!Deren Fragen provozieren, zum Denken herausfordern und ich war offen - so gut ich es konnte ! ! - für neue andere Überlegungen, mit denen dann neue Denkhorizonte sichtbar wurden, die meine Überlegungen in Frage stellten. Die Lust am Denken über sich selbst und die WElt, um diesem Wunder der Evolution gerecht werden zu können. Zugegeben: Nicht alle Schüler gingen mit!!
Damit bin ich bei einer weiteren Dimension.
In der Gesellschaft werden ständig persönliche Interessen und Bedürfnisse auftreten; da diese vielfältig sind und kontrovers sein können, treten Konflikte auf.
Um gut miteinander leben zu können - d.h. selbstbestimmt und frei, also würdevoll - müssen Regeln ausgehandelt werden, die eine gewaltfreie Lösung ermöglichen. Die Schule kann ein Ort sein, sich selbst zu erkennen und Weltwissen zu erwerben, weil sie Raum schafft für umfassende Analysen, Reflexionen und begründete. vernünftige Urteilsbildung. So verstandener Unterricht ist frei von Nützlichkeitserwartungen - Schlüsselkompetenzen für …- und vorgegebenen Ergebnissen; er ist ein Freiraum für die innere Freiheit meiner Gedanken und meines Herzens. Ein Ort, in der die Gesellschaft sich ihrer selbst bewusst werden kann. Es können reife Persönlichkeiten, mündige Bürger sich entwickeln, die in der Lage sind, alles zu hinterfragen und Neues verantwortungsbewusst zu gestalten. Sie werden entdecken, was die Natur ihnen einfach ohne Rechnung schenkt. Sie werden es absurd finden, Eigentum und technischen Fortschritt höher zu schätzen als Würde und Liebe. Sie werden herausfinden wollen, welche Rolle sie in der Gesellschaft spielen können und gerne wollen. Sie werden das friedvolle Miteinander als wohltuend erleben und erhalten wollen, sich verantwortlich fühlen und entsprechend liebevoll miteinander umgehen. Wer sich selbst als kosmisches Wunder spürt, nicht nur rational weiß, wird nicht danach streben, andere zu unterwerfen, zu beherrschen, zu kontrollieren , zu zwingen, sondern er wird es genießen, das Schöne, Aufregende mit anderen zu teilen.
Ich gebe Ihnen recht:
So wie die Schule momentan zugerichtet ist, instrumentalisiert sie Kinder zu Lohnsklaven; es geht nicht um zweckfreie Bildung der allseits entwickelten Persönlichkeit und nicht um Weltwissen für Weltbürger im Sinne von Kant und Humboldt. Unsere Schulen in Deutschland werden zur Zeit digital aufgerüstet - ein riesen Geschäft nicht zuletzt für Apple. Gleichzeitig wächst der Unmut gegen die Schulpflicht, weil kein Geld dafür zur Verfügung gestellt wird, dass die Klassen kleiner und die Lehrer qualifizierter werden. Gleichwohl höre ich jetzt nach Corona häufiger, dass Eltern ihre Kinder selbst beschulen wollen. Das war in der Generation Ihrer Eltern überhaupt nicht zu vernehmen, obwohl ich bei jedem Elternabend versucht habe, die Eltern für entsprechende politische Initiativen zu mobilisieren. Und gleichzeitig will man in Frankreich die Anwesenheit im Schulhaus gesetzlich vorschreiben. Stecken da vielleicht wirtschaftliche Interessen dahinter?
Mit der ersatzlosen Abschaffung der Schulpflicht kann ich mich nicht anfreunden. Wichtig finde ich folgende Frage:
Wie kann es gelingen, ohne Schulpflicht allseits entwickelte Persönlichkeiten im humanistischen Sinne zu ermöglichen und ein freies, selbstbestimmtes Miteinander aufzubauen? Eine Gesellschaft, in der keiner ohne seine Zustimmung handelt oder behandelt wird?

Dennis Hackethal ·

Sie wollen Schueler also zum selbstaendigen Denken zwingen?

Kein Mensch kann zum Denken gezwungen werden.

Sie meiden es zwar wieder, meine Frage direkt zu beantworten, aber es stimmt, dass der Mensch nicht zum Denken gezwungen werden kann. Das heisst, Ihr Vorhaben war bereits von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Der Sinn hinter meiner Frage war jedoch ein anderer: Ich spielte erneut auf den genannten Widerspruch an. Es ist in sich widerspruechlich, andere Menschen zum selbststaendigen (dieses Wort haben Sie weggelassen) Denken zwingen zu wollen, weil man damit ihre Selbststaendigkeit bereits verletzt.

Allein die Absicht des ‘Zwanges zum selbststaendigen Denken’ ist widerspruechlich und sollte daher verworfen werden.

Um gut miteinander leben zu können - d.h. selbstbestimmt und frei, also würdevoll - müssen Regeln ausgehandelt werden, die eine gewaltfreie Lösung ermöglichen.

Sie widersprechen sich wieder selbst, weil diese Regeln in der Schule mit (versteckt angedrohter) Gewalt aufgedrueckt werden. Ich weise erneut darauf hin, was mit Kindern passiert, die sich weigern, in die Schule zu gehen. Es hilft nicht, das einfach zu ignorieren.

So verstandener Unterricht ist frei von Nützlichkeitserwartungen - Schlüsselkompetenzen für …- und vorgegebenen Ergebnissen; er ist ein Freiraum für die innere Freiheit meiner Gedanken und meines Herzens.

Das ist einfach nur noch laecherlich. Es ist Schuelern nicht gestattet, nicht in die Schule zu gehen. Sie koennen hier unmoeglich von “Freiraum” und “Freiheit” sprechen. Ein “vorgegebene[s] Ergebnis[]” ist, dass der Schueler gegen seinen Willen im Klassenraum zu sitzen hat.

Es können reife Persönlichkeiten, mündige Bürger sich entwickeln, […].

Genau das Gegenteil ist der Fall. Es ist wieder derselbe Widerspruech: Sie koennen Menschen nicht zu muendigen Buergen erziehen, indem Sie systematisch ihre Freiheit verletzen.

[…] die in der Lage sind, alles zu hinterfragen […].

Ausser die Schule!

Sie werden es absurd finden, Eigentum und technischen Fortschritt höher zu schätzen als Würde und Liebe.

Das ist ihre persoenliche Meinung, die Sie Kindern nicht aufzuzwingen haben.

Ironischerweise sprachen Sie oben davon, dass es keine vorgegebenen Ergebnisse gebe. Offensichtlich haben Sie zumindest eine Hoffnung von der Art Weltanschauung, mit der Schueler Ihren Unterricht verlassen sollten.

Beobachten Sie mal die Liebesfaehigkeit einer Gesellschaft, in der keine Eigentumsrechte gelten … Aber das fuehrt jetzt zu weit; das nur am Rande.

Und gleichzeitig will man in Frankreich die Anwesenheit im Schulhaus gesetzlich vorschreiben. Stecken da vielleicht wirtschaftliche Interessen dahinter?

Mag sein, ich sehe die Relevanz nicht. Und in Deutschland ist diese Anwesenheit ja bereits gesetzlich diktiert.

Mit der ersatzlosen Abschaffung der Schulpflicht kann ich mich nicht anfreunden.

Ich hatte bereits die Institution der Selbstbestimmung genannt. Die sollte der Ersatz sein. Wir haben bereits eine aufklaererische Tradition, auf die wir uns beziehen koennen – ich schlage hier nichts Revolutionaeres vor.

Wie kann es gelingen, ohne Schulpflicht allseits entwickelte Persönlichkeiten im humanistischen Sinne zu ermöglichen und ein freies, selbstbestimmtes Miteinander aufzubauen?

Diesen Entwicklungstrieb bringen Kinder von sich aus mit. Er muss ihnen nicht aufgedrueckt werden. Der Meinung sind Sie auch (s. u.).

[Wie kann es gelingen, e]ine Gesellschaft [aufzubauen], in der keiner ohne seine Zustimmung handelt oder behandelt wird?

Sicherlich nicht mit einer Schule, in der Schueler ohne Zustimmung behandelt werden. Ich weiss nicht, wie ich den Widerspruch noch klarer ausdruecken koennte.

Sie sind fast all meinen Fragen aus meiner vorigen Nachricht ausgewichen. Schade. Meine Gegenargumente haben Sie nicht widerlegt. Beachten Sie, dass diese damit laut Popper weiterhin stehen.

In unserem Buch schreiben Sie:

Die Schule ist eigentlich eine Zwangsveranstaltung, und als Lehrer drückt man den Kindern bestimmte Sachen aufs Haupt, von denen man aufgrund amtlicher Vorgaben und aufgrund gesellschaftlicher Konventionen meint, dass die Kinder sie bräuchten. Das ist meilenweit von dem entfernt, was Kinder wirklich wollen, könnte ich mir vorstellen.

Roswitha Kant, Dennis Hackethal. 2022. Könnte das auch anders sein?

Und (Hervorhebung meinerseits):

Das originäre „Wissenwollen“, Ausprobieren, das kenne ich auch aus meiner Kindheit, das bringen Kinder von sich aus mit. Darauf nimmt aber Schule kaum Rücksicht. Stattdessen wird auf dreißig Schüler ein Muster gedrückt. Unterricht ist in der Regel eine Zwangsveranstaltung. Nur in seltenen Fällen gelingt es, aus einer Klasse eine Forschungsgemeinschaft zu machen.

Und:

Der Wille [des Schülers] wird also in gewisser Weise gebrochen. [Er] folgt dem Willen des anderen und nicht dem eigenen […].

Sie waren also bereits einverstanden mit meiner Charakterisierung der Schule als Zwangsinstitution. Bei unserem letzten Telefonat zu dem Thema waren Sie, wenn auch nach vielem Ausweichen und enormen Widerstand, endlich zu dem Schluss gekommen, dass der Widerspruch, von dem ich spreche, in der logischen Konsequenz dazu fuehrt, dass es keinerlei Sinn ergibt, Kinder zu ihrer Freiheit zu zwingen. Sie hatten sogar eingesehen, dass Ihr “Anliegen, das Projekt Aufklärung nach dem Faschismus in Deutschland fortzuschreiben”, wie sie es jetzt beschreiben, in der Folge gescheitert war, und wir stellten uns bereits die Frage, ob und wie sie jetzt mit diesem Widerspruch leben koennen oder sollten. Wir hatten enormen Fortschritt gemacht.

Ich weiss nicht, wieso Sie da so zurueckgerudert sind.

Vielleicht koennen wir die Sache wie folgt aufdroeseln – der Kern unserer Meinungsverschiedenheit ist wohl folgender:

Ich bin der Meinung, dass Kinder mit der Freiheit auf die Welt kommen.
Sie hingegen sind der Meinung, dass die Freiheit erst erworben wird, wenn der Intellekt einen gewissen Reifegrad erzielt.

Als Nachweis fuer meine Darlegung Ihrer Meinung liefere ich folgende Zitate Ihrerseits aus dieser Diskussion (Hervorhebungen meinerseits):

Jedenfalls ging es, [sic] um das kritische Nachfragen und die Kompetenz, ein eigenes wohlbegründetes Urteil zu fällen und entsprechend verantwortungsbewusst zu handeln.

Und:

Der Faschismus wurzelt maßgeblich in der Unfähigkeit, selbstständig zu Denken.

Und:

Es können reife Persönlichkeiten, mündige Bürger sich entwickeln […].

Und zuletzt:

Wie kann es gelingen, ohne Schulpflicht allseits entwickelte Persönlichkeiten im humanistischen Sinne zu ermöglichen […]?

Habe ich unsere Meinungsverschiedenheit korrekt dargestellt?

Dennis Hackethal ·

PS: Ich sehe gerade noch dieses Zitat (Hervorhebung erneut meinerseits):

Um gut miteinander leben zu können - d.h. selbstbestimmt und frei, also würdevoll - müssen Regeln ausgehandelt werden, die eine gewaltfreie Lösung ermöglichen.

Sie sind also wohl der Meinung, dass man erst dann frei sein kann, wenn solche Regeln ausgehandelt sind. Es muss also erst eine Leistung seitens der Schueler erbracht werden, sodass sie dann frei werden.

Das wollte ich noch zu meiner vorigen Nachricht hinzufuegen.

Roswitha Kant ·

(…) es stimmt, dass der Mensch nicht zum Denken gezwungen werden kann.

schreiben Sie und wiederholen trotzdem wenige Zeilen danach einen Widerspruch, auf den Sie sich dann vielfach beziehen:

Es ist in sich widerspruechlich, andere Menschen zum selbststaendigen (dieses Wort haben Sie weggelassen) Denken zwingen zu wollen, weil man damit ihre Selbststaendigkeit bereits verletzt.

Dieser Widerspruch besteht nicht, weil es sich bei der “Selbststaendigkeit” um die eingeschränkte Bewegungsfreiheit handelt, nicht um die GEdankenfreiheit. Die Anwesenheitspflicht ist in Deutschland nicht verhandelbar; sie ist Ausdruck der Schulpflicht, die ein Mittel ist, um im Idealfall Bildung zu erzielen. Mit Schulverweigerern redet man, fragt sie nach ihren Motiven. Psychologen sagen, dass es in der Regel gelingt, die Kinder wieder für den Unterricht zu gewinnen. Haben Sie andere Erfahrungen? Oder vermuten Sie nur?
Das Ziel von Schule ist es nicht und konnte es nie sein, die Denkfreiheit auszuschalten, weil der Mensch diese Gedankenfreiheit nie los werden kann. Selbst wenn er sich für den Gehorsam entscheidet, ist es seine freie Entscheidung. Die Ablehnung der Schulpflicht lässt sich also nicht logisch-rational begründen.
Wenn ich von der Schule als Zwangsveranstaltung spreche, dann meine ich vor allem die Anwesenheitspflicht, die seit den 2000er Jahren qualitativ stark verändert wurde, insofern die Kompetenzvermittlung an den Bedürfnissen des Marktes ausgerichtet wurde. Die Persönlichkeitsbildung, die Tradierung aufklärerischer Haltungen, weltbürgerlichen Allgemeinwissens und des kritischen selbstständigen Denkens wurde immer weiter zurückgefahren, so dass aus der sog. Allgemeinbildenden Schule, dem Gymnasium, eine Ausbildungsinstitution wurde: Die Schüler werden zu fitten Arbeitnehmern und Konsumenten trainiert. Reflexion ist politisch nicht mehr gewollt. Es passt deswegen ins Bild, wenn G.W. Bush nach dem 11. September 2001 seinen Landsleuten empfiehlt: Go shopping!
Sobald die Anwesenheitspflicht dazu dient, die Schüler zu instrumentalisieren - sie dienen dann fremden Zwecken - widerspricht die Schulpflicht der Autonomie, der Freiheit, kritisch und selbstständig zu denken. Darin sind wir uns einig.
Die Pflicht zu dieser Schule lehne ich ab; bin aber davon überzeugt, dass wir eine humanistisches Forum brauchen, in der man junge Leute ernst nimmt, ihnen Zeit lässt, sie mitbestimmen lässt und mit ihnen gemeinsam Denk- und Erfahrungsprozesse gestaltet und nach Lösungen sucht sei es im rationalen, ethischen oder im künstlerischen Bereich. Das gelingt wahrscheinlich in kleinen Gruppen mit schülerorientierter Didaktik, das ist ein weites kompliziertes Feld.

Leider stellen Sie das Konzept von Fitz-Claridge nicht vor, sondern verweisen lediglich auf die “Institution der Selbstbestimmung” und auf die die “aufklärerische Tradition” , auf die man sich beziehen könne. Ihre Ausführungen erschöpfen sich bislang, in der Ablehnung der Schulpflicht. Das weit komplexere Problem einer Bildung zur Freiheit steht noch aus: Autodidaktisch, kooperativ, mit oder ohne Unterstützung von Erwachsenen, textbasiert oder praxisorientiert, reflexiv oder handlungsorientiert oder oder?
Sie sprechen von einem “Entwicklungstrieb” zur allseits entwickelten Persönlichkeit, den Kinder von sich aus mitbringen. Heißt das: Freisein vollzieht sich mit quasi naturgesetzlicher Notwendigkeit, also determiniert? Jeder Mensch wird automatisch eine selbstbestimmte, freie, aufgeklärte Person? Das ist für mich ein Widerspruch: Freiheit durch Determination.
Zwar haben wir alle das Potential zur Freiheit, aber aus diesem Vermögen einen autonomen Lebensstil zu entwickeln, ist eine schöpferische lebenslange Herausforderung, weil es viele innere und äußere Widersacher der persönlichen Freiheit gibt und weil der Mensch rational und irrational ist, vernünftig und leidenschaftlich, gesellig und ungesellig - mit einem Wort: voller Widersprüche. Oder wie Kant sagt: ein krummes Holz, aus dem nichts Gerades gezimmert werden kann. Ich verweise auf das Höhlengleichnis, auf Kants Aufklärungsaufsatz, die Geschichte der europäischen Revolutionen etc. - Die Gedanken sind frei - das ist der Alptraum aller Herrschenden, den sie als Ohnmacht erleben. Als es darum ging, die radikalen Forderungen der 68iger in den Griff zu bekommen, schlug man vor, Sartre als ihren intellektuellen Anführer zu verhaften. Aber die französische Regierung hatte ihre historische Lektion gelernt und entschied: Voltaire verhaftet man nicht. Die amerikanische Regierung will den kritischen Journalisten Julian Assange zu 120 oder 140 Jahren Haft verurteilen, weil er Verbrechen des amerikanischen Militärs aufgedeckt hat - wie grotesk ist das denn?
Ich wüsste gerne von Ihnen, wie Ihr Entwicklungskonzept aussieht, um einschätzen zu können, ob es wirklich zur Freiheit aller führen kann.

Dennis Hackethal ·

Ich bin der Meinung, dass Kinder mit der Freiheit auf die Welt kommen.
Sie hingegen sind der Meinung, dass die [Gedanken-]Freiheit erst erworben wird, wenn der Intellekt einen gewissen Reifegrad erzielt.

Habe ich das richtig verstanden?

Roswitha Kant ·

Sie haben mich richtig verstanden. Und ich bin nun gespannt auf die Erklärung Ihrer Meinung.

Dennis Hackethal ·

Freiheit bedeutet für mich grob gesagt: Abwesenheit von äußeren Zwängen. Vielleicht auch von inneren.

Wir haben also einen unterschiedlichen Freiheitsbegriff.

Wann hat der Intellekt denn den gewünschten Reifegrad erzielt? Sprich: Welche Fähigkeiten muss er mindestens erwerben, um in Ihren Augen ausreichend reif zu sein?

Roswitha Kant ·

Von Ihnen habe ich gelernt, dass man nicht locker lassen soll: Erläutern Sie bitte, was Freiheit - mit Orientierung auf kein Zwang und Selbstbestimmung - für das Baby auf dem Wickeltisch, das Kind, den Pubertierenden, den Jugendlichen heißt und was für das tägliche Miteinander aller Generationen v.a. in Konflikten oder da, wo es etwas zu teilen gibt beispielsweise Wasser, Luft, Raum, Nahrungsmittel etc.
Unter “Erläutern Sie” wird erwartet, ich zitiere mal aus der amtlichen Kompetenzerklärung:“ einen Sachverhalt veranschaulichend darstellen und durch zusätzliche Informationen verständlich machen.”

Dennis Hackethal ·

Mit Verlaub, Sie haben meine Fragen wiederholt ignoriert. Wieso soll ich Ihre Fragen beantworten, wenn Sie meine ignorieren?

Roswitha Kant ·

Es ist mir zwar nicht klar, welche Ihrer Fragen ich nicht beantwortet habe, aber ich versuche es noch einmal.
These: Wenn die Schule das Ziel verfolgt, allseits entwickelte autonome Persönlichkeiten zu fördern, dann ist für mich die Schulpflicht ethisch gerechtfertigt.
Begründung: Die zeitweise Einschränkung der Bewegungsfreiheit und damit die punktuelle Aufhebung der Selbstbestimmung muss ich in Kauf nehmen, um die Fähigkeit zum kritischen selbstständigen Denken zur Entfaltung zu bringen. Mit dieser Praxis werden wir nicht geboren. Es ist eine zu erlernende Kunstfertigkeit, die im Prinzip jeder als vernunftbegabte Person lernen kann und die auch geübt werden muss genau wie das Tanzen.
Ich wäge also ab: Gedankenfreiheit als Lebenspraxis und nicht nur als schlummerndes Potential ist für mich wertvoller als Bewegungsfreiheit. Das Ziel rechtfertigt das Mittel. - Wenn Sie darin eine Verletzung aufklärerischer Werte sehen, dann ist das eben so. Die Abwägung von Werten ist in der Ethik eine anerkannte Denkweise.
Für mich besteht, wie mehrfach ausgeführt kein Widerspruch, weil ich Bewegungsfreiheit und Gedankenfreiheit qualitativ unterscheide, Werte abwäge und in Zweck-Mittel-Relationen denke.
These: Auch wenn ich Schüler zwinge, den Unterricht zu besuchen, nehme ich sie im Gespräch dennoch ernst und kann mit ihnen gemeinsam ergebnisoffen philosophieren.
Begründung: Denn dabei geht es, wie Sie als Philosoph wissen, weniger um das Ergebnis als um Wahrnehmungs- und Denkprozesse, um die nie endende Suche nach Wahrheit. Ich bin kein religiöser Fanatiker, der im Besitz der absoluten Wahrheit ist. Mich interessiert die Wahrheitssuche. Insofern will ich auch keine Ergebnisse aufzwingen. Ich verfüge nämlich über gar keine unbestreitbaren Ergebnisse. Das gilt übrigens nicht nur für alle geisteswissenschaftlichen Fächer, sondern auch für die Naturwissenschaften, wo man bestenfalls von Wahrscheinlichkeiten ausgehen kann.

Dennis Hackethal ·

Es ist mir zwar nicht klar, welche Ihrer Fragen ich nicht beantwortet habe, aber ich versuche es noch einmal.

Wieso haben Sie dann nicht erst nachgefragt, anstatt das Hauptthema von vorne aufzudroeseln? Sie haetten sich damit Zeit und Muehe sparen koennen.

Erinnert mich an die erste Haelfte dieser Szene: https://youtu.be/H2IZyEAOIe4

Roswitha Kant ·

Eigentlich habe ich keine Ahnung, was das bedeuten soll. Vielleicht könnten Sie mir das erklären?!

Dennis Hackethal ·

Der Glatzkopf in dem Video fragt den Schueler: “Why did you stop playing?”

Der Schueler missinterpretiert dies als eine rhetorische Frage – als Aufforderung, weiterzuspielen. Es war aber als eine buchstaebliche Frage gedacht.

Roswitha Kant ·

Dann muss ich Sie bitten, Ihre buchstäbliche Frage zu formulieren.

Dennis Hackethal ·

Wieso soll ich Ihre Fragen beantworten, wenn Sie meine ignorieren?

Dennis Hackethal ·

Also zuerst steht diese Frage aus:

Wieso haben Sie dann nicht erst nachgefragt, anstatt das Hauptthema von vorne aufzudroeseln?

Roswitha Kant ·

Auf die Idee nachzufragen, kam ich nicht.

Dennis Hackethal ·

OK. Als naechstes:

Wieso soll ich Ihre Fragen beantworten, wenn Sie meine ignorieren?

Roswitha Kant ·

Freiheit bedeutet für mich grob gesagt: Abwesenheit von äußeren Zwängen. Vielleicht auch von inneren.

Das ist für mich keine Erklärung.

Wann hat der Intellekt denn den gewünschten Reifegrad erzielt?

Verstehe ich als Missachtung meiner Bitte um die Erklärung Ihrer Meinung und hatte einfach keine Lust, auf Ihre Nachfrage zu antworten.

Dennis Hackethal ·

Das ist für mich keine Erklärung.

Sie sehen aber ein, dass ich es fuer eine Erklaerung halte, oder?

Roswitha Kant ·

Wenn Sie das so bestimmen, kann ich es verstehen, aber ich finde Ihre “Erklärung” dennoch völlig unbefriedigend.

Dennis Hackethal ·

Das bestimme nicht nur ich so. Sie auch – sonst haetten Sie nicht gewusst, welchen Text sie zitieren mussten, um auf die mangelhafte Erklaerung zu verweisen.

Sie muessen also gewusst haben, dass der von Ihnen zitierte Text zumindest als Erklaerung gedacht war. Es kann also keine “Missachtung” meinerseits gewesen sein.

Dass Sie meine Erklaerung mangelhaft fanden, bedeutet nicht, dass ich Ihre Frage missachtet habe. Im Gegenteil habe ich einen ernsten Versucht unternommen, Ihre Frage zu beantworten.

Eigentlich steht jetzt als Naechstes folgende Frage aus:

Wann hat der Intellekt denn den gewünschten Reifegrad erzielt? Sprich: Welche Fähigkeiten muss er mindestens erwerben, um in Ihren Augen ausreichend reif zu sein?

Doch um Ihnen zu zeigen, dass ich Ihre Fragen nicht missachten moechte, gehe ich erstmal auf Ihre ein:

Erläutern Sie bitte, was Freiheit - mit Orientierung auf kein Zwang und Selbstbestimmung - für das Baby auf dem Wickeltisch, das Kind, den Pubertierenden, den Jugendlichen heißt und was für das tägliche Miteinander aller Generationen v.a. in Konflikten oder da, wo es etwas zu teilen gibt beispielsweise Wasser, Luft, Raum, Nahrungsmittel etc.

Bei Babys ruft es bspw. Zwangsempfindungen hervor, wenn die Windel nicht gewechselt wird, obwohl sie gewechselt werden muesste. Oder wenn man es gegen seinen Willen fuettert.

Bei Kindern und Jugendlichen werden bspw. Zwangsempfindungen hervorgerufen, wenn ihnen der Zugang zum Computer verwehrt wird, sie aber gerne Zugang haetten.

Das Teilen im taeglichen Miteinander und die dafuer notwendigen Regeln koennen friedlich und im Einvernehmen aller Involvierten ausgehandelt werden.

Ist das jetzt klarer?

Roswitha Kant ·

Bei Babys ruft es bspw. Zwangsempfindungen hervor, wenn die Windel nicht gewechselt wird, obwohl sie gewechselt werden muesste.

Ich verstehe Sie so: Das Baby empfindet Unwohlsein und signalisiert so, dass die Windel gewechselt werden soll. Ist das schon eine freie Entscheidung, ein Gedanke oder nur ein körperliches Unbehagen?

Oder wenn man es gegen seinen Willen fuettert.

Wer oder was spricht da? Ist das ein freier Wille, ein Denkprozess?

Dennis Hackethal ·

Ich verstehe Sie so: Das Baby empfindet Unwohlsein und signalisiert so, dass die Windel gewechselt werden soll. Ist das schon eine freie Entscheidung, ein Gedanke oder nur ein körperliches Unbehagen?

Meines Erachtens beides, aber beim ungewollten Fuettern wird es wohl klarer sein weil sich das Baby aktiv vom Loeffel wegbewegt.

Oder wenn man es gegen seinen Willen fuettert.

Wer oder was spricht da?

Ich verstehe nicht, was Sie mit hier mit ‘sprechen’ meinen. Koennen Sie das bitte naeher ausfuehren?

Roswitha Kant ·

Das “ungewollte Füttern” und die davon ausgelöste Drehbewegung begreife ich als eine Äußerung; im übertragenen Sinn als sprechen.

Dennis Hackethal ·

Dann das Baby.

Roswitha Kant ·

Sicher ist es das Baby. Aber ist das ein bewusster Akt oder eine vorbewusste Empfindung? Schwierig.

Dennis Hackethal ·

Aber ist das ein bewusster Akt oder eine vorbewusste Empfindung?

Was wuerde fuer einen bewussten Akt sprechen?

Roswitha Kant ·

Wenn es die Empfindung sprachlich symbolisieren könnte, wäre das ein Zeichen für einen bewussten Akt. Kann es natürlich nicht. Aber es ist trotzdem klar, dass hier etwas abgelehnt wird; dazu sind auch Tiere in der Lage. - Ich kenne mich auf diesem Feld einfach nicht aus.

Dennis Hackethal ·

OK, nehmen wir stattdessen ein Kleinkind, das rudimentaere Sprachkenntnisse hat. Wenn man es fragt, ob es gerne etwas essen moechte, und es dies woertlich ablehnt, wuerden Sie dies also als einen bewussten Akt interpretieren?

Roswitha Kant ·

Ja, das halte ich für einen bewussten Akt. - Ich glaube, wir sind hier auf einem falschen Pfad. Es ist unstrittig, dass Kinder und Jugendliche Zwänge empfinden. Für mich stellte sich eher die Frage, wie damit umzugehen ist. Ich hatte Sie so verstanden, dass man auf keinen Fall Zwang ausüben darf. Was tun, wenn das Kleinkind das Wickeln verweigert?

Dennis Hackethal ·

Ich hatte Sie so verstanden, dass man auf keinen Fall Zwang ausüben darf.

Es gibt da ein paar wenige Ausnahmen, aber, ja, allgemein gesagt ist das richtig.

Was tun, wenn das Kleinkind das Wickeln verweigert?

Nun, da ich kein Vater bin, kenne ich mich mit diesem praktischen Problem nicht aus. Aber ich vermute, man laesst das Kleinkind entweder in Ruhe und probiert es etwas spaeter nochmal oder man macht das Wickeln interessanter, zum Beispiel indem man lieb mit dem Kind redet oder ihm vielleicht eine Rassel gibt, mit dem es sich ablenken kann, waehrend man die Windel wechselt, dann geht es sowieso ganz schnell vorbei.

Roswitha Kant ·

Nett von Ihnen. Das ist sicher ein WEg, aber Sie tricksen das Winzchen damit aus. Sie setzen also Ihren durchaus wohlbegründeten Willen durch, um es gesund zu halten. Es merkt es bloß nicht so schnell, dass es nicht selbstbestimmt ist.

Dennis Hackethal ·

Sie haben recht, da muesste eine bessere Loesung gefunden werden.

Ich habe mal gehoert, dass sehr kleine Kinder schon vorm Sprechenlernen einfache Zeichensprache lernen koennen. Vielleicht koennte man dem Kind damit gewisse Dinge signalisieren, wenn auch nur rudimentaer. Ich weiss es nicht.

Dennis Hackethal ·

Wollen Sie jetzt auf meine noch ausstehende Frage eingehen?

Dennis Hackethal ·

Wann hat der Intellekt denn den gewünschten Reifegrad erzielt? Sprich: Welche Fähigkeiten muss er mindestens erwerben, um in Ihren Augen ausreichend reif zu sein?

Die hier.

Roswitha Kant ·

Schade, dass Sie die Zwangauflösungsstrategie nicht weiter verfolgen wollen. Denn davon geht man heute aus, dass Kinder in der Regel mit sich reden lassen, wenn man liebevoll auf sie eingeht - übrigens auch die Schulverweigerer. - Nun gut. Jetzt zum Reifegrad. Sprachfähigkeit ist sicher wichtig, aber auch die Fähigkeit die Perspektive des anderen einnehmen, Impulse bzw. Affekte im Zaum halten zu können, ein gewisses Abstraktionsvermögen, so etwas wie Frustrationstoleranz. Vielleicht noch andere Parameter. Immerhin gingen wir davon aus, dass Kinder ab 10 Jahren zum eigenständigen Denken in der Lage sind.

Dennis Hackethal ·

Schade, dass Sie die Zwangauflösungsstrategie nicht weiter verfolgen wollen.

Sorry aber das mit der Windel ist eine praktische Frage, bei der ich einfach keine Erfahrung habe.

Bei konkreten Faellen kommt es immer auf den Zusammenhang an.

wenn man liebevoll auf sie eingeht - übrigens auch die Schulverweigerer.

Man geht nicht liebevoll auf Schulverweigerer ein.

Immerhin gingen wir davon aus, dass Kinder ab 10 Jahren zum eigenständigen Denken in der Lage sind.

Sie sind also entsprechend fuer die Abschaffung der Schulpflicht nach der vierten Klasse?

Roswitha Kant ·

Nein, im Gegenteil. Ich bin für ausgezeichnete Schulen, die die Potentiale aller Kinder bestmöglich fördern, indem sie Kinder als vernunftbegabte Personen, die sich vor allem nach Zuneigung, Anerkennung und Freiheit, Autonomie sehnen ernst nehmen, damit ihnen ein selbstbestimmtes Leben gelingen kann.

Dennis Hackethal ·

Sie hatten die Schulpflicht zunaechst damit begruendet, dass ein Kind zur Gedankenfreiheit erzogen werden muesse.

Daraufhin sagten Sie, dass diese Gedankenfreiheit ab 10 Jahren erreicht sei. Dann koennte die Schulpflicht logischerweise zumindest ab diesem Alter abgeschafft werden.

Jetzt sagen Sie aber, dass die Schulpflicht noch darueber hinaus beibehalten werden sollte.

Das passt nicht zusammen.

Dennis Hackethal ·

(Ich ignoriere uebrigens bewusst diverse Widersprueche, auf die ich vielleicht noch zu sprechen komme.)

Roswitha Kant ·

Ich habe schon mehrfach ausgeführt, dass die Schüler in der Lage sind, ab 10 selbstständig zu denken, diese Veranlagung aber entfaltet und geübt werden muss. Denn es handelt sich um eine Kunst oder auch eine Kulturtechnik; vgl. meine Ausführungen weiter oben. Und da die Kinder nicht im luftleeren Raum leben, sondern in einer Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft brauchen sie einen Schonraum, wo sich ihre Fähigkeiten entfalten können, wo keine kommerziellen Interessen auf sie gerichtet sind, sondern wo es um sie als Subjekte geht. Es geht mir auch um die Schüler, die in einem sog. bildungsfernen Umfeld leben. Selbst in der Leibnizschule sind Kinder, deren Eltern nicht zur Unterstützung in der Lage sind. Sie sollen nicht ausgeschlossen werden.

Dennis Hackethal ·

Ich habe schon mehrfach ausgeführt, dass die Schüler in der Lage sind, ab 10 selbstständig zu denken […].

Das hatten Sie m. E. bisher nur einmal ausgefuehrt. Ich habe mit der Suchfunktion nach ‘10’ und ‘zehn’ gesucht und nur die eine Nachricht neulich gefunden.

Roswitha Kant ·

Stimmt, ich habe mich nicht auf 10 bezogen, aber dass Denken eine “Kunstfertigkeit” ist sehr wohl.

Dennis Hackethal ·

Gibt es Erwachsene, die Ihrer Meinung nach nicht selbststaendig denken koennen?

Roswitha Kant ·

Ich erlebe, dass Erwachsene nicht selbstständig denken, sondern nur Phrasen von sich geben, obwohl alle das prinzipiell können. In welcher Qualität sie das tatsächlich können, kann ich nicht beurteilen.

Dennis Hackethal ·

Muessten diese Erwachsenen, die nicht selbststaendig denken, dann nicht zurueck in die Schule?

Roswitha Kant ·

Nein, denn sie hatten ja ihre Chance und nun sind sie selbst für sich und ihr Leben verantwortlich. Wenn sie sich verbessern wollen, können sie das jederzeit tun. Es gibt genug Angebote. - Allerdings werden die 18% jungen Leute, die aktuell in Deutschland ohne Schulabschluss und damit mit fehlenden Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Rechnen ins Leben gehen, zum ernst zu nehmenden gesellschaftlichen Problem.

Dennis Hackethal ·

Wenn sie sich verbessern wollen, können sie das jederzeit tun.

Gilt das nicht auch fuer Kinder und Jugendliche, zumindest ab zehn Jahren?

Wieso lassen Sie Erwachsenen die Freiheit, nicht in die Schule zu gehen – auch nicht selbstaendig denkenden Erwachsenen, die man also wohl als Kinder im Erwachsenenkoerper betrachten koennte –, Kindern und Jugendlichen aber nicht?

Roswitha Kant ·

Von 10 bis 16 vollzieht sich eine kognitive, emotionale und sittliche Reife - mein Abizeugnis heißt übrigens “ Zeugnis der Reife” !!! - , die ich immer wieder beobachten konnte. Das lässt sich auch psychologisch belegen. Diese Phase ist von großen körperlichen Veränderungen, Irritationen, Unsicherheiten, Fehlentscheidungen, Kummer etc. geprägt und sollte deshalb in einem Schutzraum stattfinden. Im Schulalltag wird oft viel “Mist” abgefangen, der dann nicht nachgetragen wird, keine Konsequenzen hat. Nach der 10. Klasse sind die Jugendlichen “erwachsener” in ihrem Auftreten, ihrem Selbstverständnis, emanzipierter von ihren Bezugspersonen, selbstständiger. Für sie gibt es keine Schulpflicht mehr.

Dennis Hackethal ·

Zuerst sprachen Sie vom Alter von zehn Jahren, jetzt sprechen Sie von der zehnten Klasse (also einem Alter von ca sechzehn Jahren).

Roswitha Kant ·

Mit 10 ist man in der 5. Klassse, in der 10. Klasse ist man 16.

Dennis Hackethal ·

Richtig. Ich spreche darauf an, dass Sie sich widersprechen.

Sie koennen nicht gleichzeitig behaupten, dass jemand ab 10 Jahren gedankenfrei ist, und dann spaeter behaupten, dass er dies erst ab 16 Jahren ist.

Sie muessen sich fuer eine Variante entscheiden.

Roswitha Kant ·

Wenn wir sagen, jemand ist in der Lage, dann heißt das, er bringt die Voraussetzungen mit, um dies oder das zu tun. Das heißt nicht, dass er das schon in guter Qualität kann. Er muss diese Qualität erst entwickeln. Das tun Kinder in der Zeit zwischen der 5. Klasse und der 10. Klasse. Was wie ein Keim angelegt ist, entfaltet sich zur Blüte.

Dennis Hackethal ·

Ich verstehe. Ich hatte den Unterschied zwischen dem Potenzial – dem ‘In der Lage Sein’ – und dem Realisierten uebersehen.

Sie sagen, dass ein Zehnjaehriger zum selbststaendigen Denken in der Lage ist, er das aber bis zum 16. Lebensjahr noch ueben muss, sodass er es dann hoffentlich auch hinreichend beherrscht.

In gewisser Weise gebe ich Ihnen hier sogar recht. Zumindest kommt man mit einer gewissen ‘Denkqualitaet’ nicht einfach auf die Welt. Ein Fuenfjaehriger kann wohl kein komplexes Argument analysieren, Fuer und Wider eroertern und so weiter. Selbst viele ‘Erwachsene’ koennen das nicht! Die Ratio kommt nicht von alleine, sie ist eine Errungenschaft. Die meisten koennten wohl ein Gespraech von der Art, wie wir es gerade fuehren, nicht ohne Weiteres fuehren. Auch das erfordert Uebung.

Es gibt zwischen uns also schon einen gewissen Konsens.

Auf der anderen Seite haben Kinder oft in gewisser Hinsicht rationalere Charakterzuege als Erwachsene – ich wuerde Kinder also nicht als inkompetent oder gar irrational charakterisieren. Das nur der Klarheit halber.

Wir unterscheiden uns auch weiterhin in unserem Freiheitsbegriff und auch darin, ob Verpflichtungen fuer das Kind entstehen sollten, weil es bestimmte Faehigkeiten noch nicht besitzt.

Wenn ich mir – egal in welchem Alter – gerne Gedanken zu Thema x machen moechte, stattdessen aber genoetigt werde, mir Gedanken zu Thema y zu machen, bin ich dann gedankenfrei?

Roswitha Kant ·

Sie sind in Ihren Gedanken frei, sonst könnten Sie nicht zu Thema y denken. Aber Sie werden genötigt Thema x zu verschieben. Sie sind also in Ihrer Wahlfreiheit eingeschränkt.

Dennis Hackethal ·

Ich fuerchte, so einfach ist das mit der Gedankenfreiheit nicht. Sie sehen doch sicher, dass auch meine Gedankenfreiheit unter der Noetigung leidet, oder nicht?

Ich habe etwa nicht die Freiheit, nicht ueber die Noetigung an sich nachzudenken. Und wie soll ich Gedankenfreiheit ohne Wahlfreiheit haben?

Dennis Hackethal ·

Ich frage mal so: Moechten Sie, dass Kinder als Erwachsene spaeter auch Wahlfreiheit haben? Sodass sie bspw. informierte Entscheidungen treffen koennen.

Roswitha Kant ·

Und wie soll ich Gedankenfreiheit ohne Wahlfreiheit haben?

Die Wahlfreiheit hier bezieht sich auf die Themen x und y. Die Gedankenfreiheit ist davon nicht betroffen; Sie können zu y frei denken und auch später zu x.
Und natürlich ist es wichtig, dass man frei die eigenen Informationen auswählen kann. Wenn diese Wahlfreiheit durch staatliche oder andere Mächte nicht gegeben ist, herrscht Zensur und die Gedankenfreiheit ist in Bezug auf diese Infos beschnitten: Das Denken verliert an Qualität, weil Inhalte schlicht fehlen, die nicht zugänglich sind.

Dennis Hackethal ·

Sie können zu y frei denken und auch später zu x.

Meine geistigen Ressourcen sind beschraenkt – wenn ich genoetigt werde, mich auf Thema y zu konzentrieren, bleiben entsprechend weniger Ressourcen fuer Thema x uebrig. Meine eingeschraenkte Wahlfreiheit hat insofern schon einschraenkende Wirkungen auf meine Gedankenfreiheit.

Und natürlich ist es wichtig, dass man frei die eigenen Informationen auswählen kann.

Wenn es also wichtig ist, dass Erwachsene Wahlfreiheit haben, wie sollen sie dann darin geübt sein, wenn Ihnen diese Wahlfreiheit in der Jugend systematisch verweigert wurde?

Roswitha Kant ·

Geistige Ressourcen sind beschränkt - immer, auch wenn Sie selbst ein Thema wählen, bleiben unzählige andere Themen unbearbeitet. Da beißt die Maus keinen Faden ab, wie wir in der Pfalz sagen. Und das wirkt sich auf die Qualität der Gedanken aus, stimmt. Daher die Rede vom Fachidioten. Ich kenne niemanden, der das Problem gelöst hat - außer vielleicht ein paar Genies!!!
Wahlfreiheit wird in der Schule nicht systematisch verweigert: Es gibt Wahlfächer, Lektüren, Klausuren, Referate, Hausarbeiten, Sprachen und vor allem Infos aus dem Internet können ausgewählt werden. Die Wahlfreiheit könnte, müsste und sollte größer sein, wenn das Verhältnis von Lehrern und Schülern deutlich besser wäre. Deswegen spreche ich von “ausgezeichneten Schulen”, die einzurichten sind.

Dennis Hackethal ·

Geistige Ressourcen sind beschränkt - immer, auch wenn Sie selbst ein Thema wählen, bleiben unzählige andere Themen unbearbeitet.

Sicherlich muessen hier logischerweise sogenannte Tradeoffs gemacht werden, weil sowohl die Zeit als auch die Aufmerksamkeit begrenzt sind. Der springende Punkt ist aber der, dass ich mich selber entscheiden koennen muss, welche Tradeoffs ich machen moechte – dass das nicht fuer mich entschieden wird. Dass mir kein Tradeoff aufgezwungen wird.

Wahlfreiheit wird in der Schule nicht systematisch verweigert: Es gibt Wahlfächer, Lektüren, Klausuren, Referate, Hausarbeiten, Sprachen und vor allem Infos aus dem Internet können ausgewählt werden.

Die Wahlfreiheit wird in der Schule zuallererst durch die Schulpflicht selbst verweigert. Das Kind hat also nicht die Wahl, zu Hause zu bleiben. Versucht es dies doch, kommt letztendlich die Polizei und befoerdert es physisch und gegen seinen Willen in die Schule, wie wir mal besprochen hatten.

Das Kind muss einen Stundenplan einhalten – es mag vielleicht in spaeteren Jahren hier und da ein paar ‘Wahlfaecher’ geben, doch gibt es auch nur ein einziges Nicht-Wahlfach, ist wieder Zwang im Spiel. Auch die ‘Wahlfaecher’ sind keine echte Wahl: Ich musste mich bspw. in der sechsten Klasse zwischen Latein und Franzoesisch entscheiden, hatte aber nicht die Wahl, keines der beiden zu machen und mich stattdessen fuer etwas anderes zu entscheiden, also meine eigene Alternative zu erschaffen (ich erinnere an Der Anfang der Unendlichkeit Kapitel 13).

Das Kind muss waehrend des Unterrichts um Erlaubnis bitten, um aufs Klo zu gehen. Das Kind darf nur zu bestimmen Uhrzeiten Pause machen und essen oder trinken. Es hat also nicht die Wahl, seine koerperlichen Grundbeduerfnisse selbst zu verwalten. Es gibt ein Wort fuer erzwungenen physischen Stress: Folter. Das Kind hat also keine koerperliche Freiheit und kein Recht auf koerperliche Unversehrtheit.

Das Kind muss seine Aufmerksamkeit auf den Lehrer und den Unterricht lenken. Es hat nicht die Wahl, das nicht zu tun.

Das Kind darf nur zu bestimmten Uhrzeiten aufstehen. Ansonsten muss es still sitzen. Tut es das ueber laengere Zeit hinweg nicht, wird es mit einer Pseudokrankheit diagnositizert und evtl. sogar mit Medikamenten betaeubt.

Das Kind muss Hausarbeiten machen. Es hat nicht die Wahl, diese nicht zu machen. Es hat nicht die Wahl, dieselbe Zeit zu Hause mit etwas anderem der eigenen Wahl zu verbringen. Es hat zwar die ‘Wahl’, wann es heute Hausarbeiten macht, aber es hat nicht die Wahl, sie gar nicht zu machen und stattdessen etwas anderes zu tun.

Das Kind muss Klausuren schreiben. Es hat nicht die Wahl, diese nicht zu schreiben.

Das Kind muss sich benoten lassen. Es hat nicht die Wahl, nicht benotet zu werden.

Das Kind muss seinen Eltern diese Noten zeigen. Es hat nicht die Wahl, dies nicht zu tun.

Das Kind muss Referate halten. Es hat vielleicht die ‘Wahl’, von welchen Themen die Referate handeln, aber es hat nicht die Wahl, kein Referat zu halten.

Das Kind muss im Sportunterricht bspw. rennen. Es hat nicht die Wahl, nicht zu rennen. Das ist erneut physische Folter.

Das Kind muss Buecher lesen. Es hat vielleicht in spaeteren Jahren die ‘Wahl’, welche Buecher es lesen moechte, aber es hat nicht die Wahl, keines zu lesen.

Das Kind muss seine akademische Zukunft den Lehrern in die Hand legen. Es hat nicht die Wahl, dies nicht zu tun.

Das Kind muss den Grossteil seines Lebens der Schule widmen. Es hat nicht die Wahl, dies nicht zu tun.

Das Kind muss sich in der Schule mit Menschen umgeben, mit denen es sich vielleicht sonst nicht umgeben wuerde. Es hat keine Wahl, dies nicht zu tun – es hat also keine Assoziationsfreiheit.

Bei der Schule von Wahlfreiheit zu sprechen – und sogar Unterdrueckungsinstrumente wie Hausarbeiten und Klausuren als Beispiele der angeblichen Wahlfreiheit anzufuehren – ist aberwitzig.

Die Schule schraenkt den Handelsspielraum des Kindes enorm ein und hindert das Kind daran, seine eigenen Entscheidungen zu treffen und neue Wahlmoeglichkeiten zu erschaffen.

Das Erschaffen der eigenen Wahlmoeglichkeiten ist Teil der Gedankenfreiheit. Die Schule ist also das Gegenteil der Gedankenfreiheit.

Wir sind also wieder beim selben Widerspruch: Zu behaupten, die Schule diene der Gedanken- oder Wahlfreiheit, ist ein Widerspruch in sich. Genau das Gegenteil ist der Fall.

Wenn Sie moechten, dass Kinder gedankenfrei sind, sollten Sie sie so weit von der Schule fernhalten wie moeglich.

Roswitha Kant ·

Sie variieren einen einzigen Gedanken: Schulpflicht steht im Widerspruch zu Gedanken- und Wahlfreiheit. Jede schulische Wahl bezeichnen Sie als Folter, weil es keine Nichtwahl gibt. Dabei setzen Sie stets äußere und innere Freiheit gleich. Wiewohl Sie zustimmen, dass keiner einen anderen zum Denken zwingen kann. Damit hatte ich mich schon eingehend auseinandergesetzt. Lassen wir das also.
Diesbezüglich von Folter zu sprechen, halte ich für unangemessen. Denn was ist es dann, was in Guantanamo geschieht?
Ich möchte diesen Diskussionsstrang verlassen und eine andere Sichtweise ausloten.
Es mag Sie jetzt überraschen: Ich gebe Ihnen in puncto Schuldruck recht, freilich aus anderen Gründen. Wenn man den Menschen nicht auf Körper und Geist reduziert, sondern die Seele mit bedenkt, kommt man nicht umhin zuzugestehen, dass die Schulpflicht schmerzhafte Verletzungen hervorruft. Ich beziehe mich auf Gerald Hüther, der körperliche und seelische Grundbedürfnisse unterscheidet, mit denen wir geboren werden. Die körperlichen Durst, Hunger, Erholung etc. sind wohl unstrittig. Daneben nennt er zwei Grundbedürfnisse: das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Verbundenheit einerseits und das nach Autonomie und Freiheit andererseits. Für uns als “zutiefst soziale Wesen” hängt die Stillung beider seelischen “Grundbedürfnisse von den anderen Menschen ab, mit denen wir zusammenleben. Nicht wir selbst, sondern nur sie können uns ihre Zuneigung verweigern, uns aus der Gemeinschaft ausschließen oder (…) uns spüren lassen, dass wir nicht so dazugehören dürfen, wie wir sind, sondern erst dann, wenn wir ihre Erwartungen erfüllen und ihren Vorstellungen entsprechen. Und mit dieser Forderung verletzen sie auch noch unser Bedürfnis nach selbstbestimmter Lebensgestaltung, also nach Autonomie und Freiheit.” (Hüther S. 21f)
Die Geschichte der Unterdrückung seelischer Bedürfnisse in unserer Gesellschaft stellt Hüther so dar: “Ich kenne niemand (sic), der beim Hineinwachsen in die Welt der Erwachsenen nicht gezwungen war oder sich dazu gezwungen fühlte, ein für sie oder ihn wichtiges, ja sogar überlebenswichtiges Grundbedürfnis zumindest eine Zeitlang zu unterdrücken. Was sonst bleibt einem Heranwachsenden mit seiner ganzen angeborenen Entdeckerfreude übrig, dem ständig gesagt wird, was wie funktioniert und was er so und nicht anders erkennen, sich aneignen oder gar auswendig lernen soll? Wie lange kann es jemand mit seiner angeborenen Lust am eigenen Gestalten ertragen, wenn ihm andere ständig zeigen, was er wie zu machen oder gar bis zu einem gewissen Zeitpunkt zu erledigen hat? Ihm bleibt keine andere Lösung übrig als die Unterdrückung seiner eigenen Entdeckerfreude und Gestaltungslust.” (Hüther S. 137f) Und diese Objektivierung, Instrumentalisierung, Entwürdigung oder “Lieblosigkeit” mache krank, betont Hüther.

Nichts wäre spannender für mich als zu erfahren, wie Sie sich nach der Abschaffung der Schulpflicht ein freies Lernen und Leben vorstellen.

Dennis Hackethal ·

Jede schulische Wahl bezeichnen Sie als Folter, weil es keine Nichtwahl gibt.

Nein. Ich habe in fuenfzehn Absaetzen Beispiele fuer Nichtwahl und Zwang gegeben. Von Folter sprach ich nur in zweien dieser Absaetze.

Ich habe auch definiert, was ich mit ‘Folter’ meine: “erzwungenen physischen Stress”. Nicht Nichtwahl.

Diesbezüglich von Folter zu sprechen, halte ich für unangemessen. Denn was ist es dann, was in Guantanamo geschieht?

Folter als ‘Nichtwahl’ zu definieren, waere in der Tat unangemessen, aber das habe ich nicht. Folter hingegen als “erzwungenen physischen Stress” zu definieren, halte ich fuer angemessen. Das geschieht wohl auch in Guantanamo – ich kenne mich da nicht aus – und unterscheidet sich vom Sportunterricht lediglich im Grade, nicht im Prinzip.

Dabei setzen Sie stets äußere und innere Freiheit gleich. Wiewohl Sie zustimmen, dass keiner einen anderen zum Denken zwingen kann. Damit hatte ich mich schon eingehend auseinandergesetzt.

Lassen Sie uns dies etwas aufdroeseln – ich weiss, Sie wollen diesen Diskussionsstrang verlassen, aber ein paar Dinge muss ich abschliessend klarstellen. Sie hatten zuletzt behauptet, die Gedankenfreiheit werde durch eine beschraenkte Wahlfreiheit nicht eingeschraenkt:

Die Wahlfreiheit hier bezieht sich auf die Themen x und y. Die Gedankenfreiheit ist davon nicht betroffen; Sie können zu y frei denken und auch später zu x.

Daraufhin hatte ich dargelegt, dass geistige Ressourcen beschraenkt sind und deshalb eine eingeschraenkte Wahlfreiheit sehr wohl auch die Gedankenfreiheit einschraenkt:

Meine geistigen Ressourcen sind beschraenkt – wenn ich genoetigt werde, mich auf Thema y zu konzentrieren, bleiben entsprechend weniger Ressourcen fuer Thema x uebrig. Meine eingeschraenkte Wahlfreiheit hat insofern schon einschraenkende Wirkungen auf meine Gedankenfreiheit.

Dann haben Sie richtigerweise betont, dass geistige Ressourcen immer beschraenkt sind, auch wenn man ein Thema selbst waehlt:

Geistige Ressourcen sind beschränkt - immer, auch wenn Sie selbst ein Thema wählen, bleiben unzählige andere Themen unbearbeitet.

Das habe ich eingeraeumt und darauf hingewiesen, dass die selbstbestimmte Themenauswahl, von der Sie auch sprechen, eben den Unterschied ausmacht:

Sicherlich muessen hier logischerweise sogenannte Tradeoffs gemacht werden, weil sowohl die Zeit als auch die Aufmerksamkeit begrenzt sind. Der springende Punkt ist aber der, dass ich mich selber entscheiden koennen muss, welche Tradeoffs ich machen moechte – dass das nicht fuer mich entschieden wird. Dass mir kein Tradeoff aufgezwungen wird.

Sprich: Wenn die geistigen Ressourcen sowieso bereits beschraenkt sind, sollten sich Lehrer hueten, sie kuenstlich noch mehr zu beschraenken. Und wird mir der Tradeoff doch aufgezwungen, leidet meine Gedankenfreiheit eben entsprechend.

Also: Sie hatten sich mit diesem Diskussionsstrang in der Tat “eingehend auseinandergesetzt”, doch Ihre Beitraege habe ich auch entsprechend beantwortet. Wir koennen den Diskussionsstrang zwar gerne verlassen, beachten Sie aber, dass der Versuch, jemanden zum selbststaendigen Denken zu zwingen, entsprechend weiterhin widerspruechlich ist.

Sie hatten zwar schon frueh gesagt, dass es sowieso nicht moeglich sei, jemanden zum Denken zu zwingen – darin stimmen wir ueberein –, scheinen aber noch nicht einzusehen, dass die Schule diesem Versuch gleichkommt.

Auch eine Unterscheidung zwischen aeusserer und innerer Freiheit fuehrt an diesem Widerspruch nicht vorbei: Man kann jemanden zwar nicht zum Denken zwingen, aber man kann dafuer sorgen, dass er sich selbst zwingt. Das Resultat ist dasselbe: Der Schueler ist nicht frei, nicht selbststaendig, er kann in der Schule also unmoeglich das selbststaendige Denken lernen. (Von einem Kind zu erwarten, dass es bei all dem Druck die innere Freiheit wahrt, ist sowieso unrealistisch.)

Ich glaube nicht, dass sich der genannte Widerspruch ueberhaupt loesen laesst, schon rein logisch gesehen. Nur sollten wir dann auch entsprechende moralische Schluesse ziehen. Sie haben also nicht nur Ihr logisch unmoegliches Ziel, Kindern die Gedankenfreiheit (unbewusst) aufzuzwingen und sie damit vom angeblichen familiaeren Faschismus zu befreien, verfehlt – wie haette es auch anders sein koennen? –, sondern Kindern ganz im Gegenteil diese Freiheit systematisch geraubt und ihnen den Faschismus aufgedrueckt.

Mein Eindruck ist, dass Sie – mit Verlaub – das eigentliche Konzept der Freiheit noch nicht verstanden haben. Fuer Sie ist die Freiheit wie besprochen eine Art gewaehrleisteter Handlungsspielraum – oder auch eine Art Gedankenspielraum, der sich eben erst mit einer gewissen geistigen Reife entwickelt. Das hat aus den genannten Gruenden nichts mit der eigentlichen Freiheit zu tun und ist nicht in sich schluessig.

Als Beleg dafuer, dass Sie ein falsches Freiheitsverstaendnis haben, fuehre ich ein Zitat Ihrerseits an, die Schule sei erst Anfang der 2000er Jahre zu einer Zwangsveranstaltung geworden:

Wenn ich von der Schule als Zwangsveranstaltung spreche, dann meine ich vor allem die Anwesenheitspflicht, die seit den 2000er Jahren qualitativ stark verändert wurde, insofern die Kompetenzvermittlung an den Bedürfnissen des Marktes ausgerichtet wurde. Die Persönlichkeitsbildung, die Tradierung aufklärerischer Haltungen, weltbürgerlichen Allgemeinwissens und des kritischen selbstständigen Denkens wurde immer weiter zurückgefahren, so dass aus der sog. Allgemeinbildenden Schule, dem Gymnasium, eine Ausbildungsinstitution wurde: Die Schüler werden zu fitten Arbeitnehmern und Konsumenten trainiert.

Schueler werden Ihrer Meinung nach also dann zu Dingen gezwungen, wenn nicht die Schueler selbst, sondern Sie diese Dinge nicht gutheissen! Ihre Schlussfolgerung, dass die Schule seit den 2000ern eine Zwangsveranstaltung ist, stimmt zwar, aber aus den falschen Gruenden, und vorher war sie ebenfalls eine Zwangsveranstaltung. Ihre Argumentation geht an der eigentlichen Problematik voellig vorbei.

Sie hatten offensichtlich auch kein richtiges Verstaendnis dessen, was eine freie Wahl ist. Dazu dienten meine vielen Beispiele, um dies aufzuzeigen. Sie sprechen jetzt immer noch von “schulische[r] Wahl”. Es gibt in der Schule keine Wahl.

Auch das Gegenteil der Freiheit verstehen Sie anscheinend nicht:

Der Faschismus wurzelt maßgeblich in der Unfähigkeit, selbstständig zu Denken.

Die Unfaehigkeit, selbststaendig zu denken, ist sicherlich das Resultat des Faschismus, aber wohl nicht dessen Ursache.

Man sieht an unserer Diskussion, dass unterschiedliche Freiheitsbegriffe zu einer unterschiedlichen Behandlung unserer Mitmenschen fuehrt, sowie dass auch die besten Absichten zu furchtbaren Resultaten fuehren koennen.

Nun zu Gerald Hüther.

Wenn man den Menschen nicht auf Körper und Geist reduziert, sondern die Seele mit bedenkt, kommt man nicht umhin zuzugestehen, dass die Schulpflicht schmerzhafte Verletzungen hervorruft.

Ich weiss zwar nicht genau, was Sie mit der ‘Seele’ meinen – uebernatuerliche Bezeichnungen meide ich immer gerne, und “das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Verbundenheit einerseits und das nach Autonomie und Freiheit andererseits” wuerde ich als Teil des Geistes sehen –, aber ich teile die Schlussfolgerung, “dass die Schulpflicht schmerzhafte Verletzungen hervorruft”.

(Hüther S. 21f)

Seitenangabe ohne Quellenangabe. Der Buchtitel (?) waere hier notwendig.

“[…] Ihm bleibt keine andere Lösung übrig als die Unterdrückung seiner eigenen Entdeckerfreude und Gestaltungslust.” (Hüther S. 137f)

Ganz genau. Deshalb ist es in einer gewissen Art und Weise eben doch moeglich, jemanden (indirekt) zum (Nicht-)Denken zu zwingen – indem man die Bedingungen dafuer schafft, dass er sicht selbst zwingt. Ist das nicht furchtbar?

Nichts wäre spannender für mich als zu erfahren, wie Sie sich nach der Abschaffung der Schulpflicht ein freies Lernen und Leben vorstellen.

Das muss ich allgemein halten: Jedes Kind hat seine ganz eigene Problemsituation. Entsprechend bedeutet Lernen, fuer sich selbst das Wissen zu erschaffen, mit dem man seine momentane Problemsituation bewaeltigt. Kinder sind von Geburt an Meister darin. Sie haben vielleicht noch keine intellektuelle Reife wie Erwachsene sie haben, aber sie sind Experten auf dem Gebiet ihrer eigenen Problemsituation sowie ihrer Wuensche und Traeume. Das Potenzial, selbststaendig zu denken, hat jedes Kind m. E. von Geburt an, nicht erst ab zehn Jahren – und diese Bluete, wie Sie sie nannten, entfaltet sich von ganz alleine, wenn man sie nur laesst.

Wie das im Detail aussieht, kann ich hier nicht darlegen, weil dies fuer jedes Kind unterschiedlich ist. Ich koennte darlegen, wie sich ein freies Lernen und Leben fuer mich gestaltet, aber fuer andere Menschen kann ich das nicht sagen.

Roswitha Kant ·

Auch die ‘Wahlfaecher’ sind keine echte Wahl: Ich musste mich bspw. in der sechsten Klasse zwischen Latein und Franzoesisch entscheiden, hatte aber nicht die Wahl, keines der beiden zu machen und mich stattdessen fuer etwas anderes zu entscheiden, also meine eigene Alternative zu erschaffen (ich erinnere an Der Anfang der Unendlichkeit Kapitel 13).

Sie mussten sich entscheiden, d.h. Sie sind auf eine Grenze Ihrer Freiheit gestoßen. Ja, es gibt Grenzen der Freiheit nämlich die Freiheit und Unversehrtheit des anderen und der Biosphäre. Wer und nach welchen Kriterien die Grenzen definiert werden ist entscheidend. Kein Kind darf ein anderes anspucken, ihm das Spielzeug wegnehmen und vieles mehr. Die Sprachauswahl im Gymnasium ist ein kulturell begründetes Angebot, dem ich als Bildungsbürgerin zustimme. Wenn Sie das nicht wollen, gehen Sie auf die Haupt-oder Realschule. Sie werden einwenden, dass man nicht frei ist, nicht zur Schule zu gehen. Stimmt. Es ist Entscheidungsfreiheit, aber keine schrankenlose Freiheit. Wenn ich recht weiß, wollen auch Sie auf den Schutz des Eigentums nicht verzichten.
Ich bezweifle nicht, dass ein 12Jähriger einen freien Willen hat, bestreite aber aufgrund meiner Berufserfahrung und meiner eigenen Biographie, dass es sein eigener Wille ist. Mit 10 Jahren, Klasse 5 sind Kinder - mit ganz ganz wenigen Ausnahmen - durch die Vorstellungen ihres Elternhauses geprägt. Das bestätigt auch Hüther. Zwei Jahre später durch Gruppenzwang. Und ob ein Kind “eigene Alternativen” erschaffen kann, steht dahin. Einer verschwindend kleinen Minderheit mag das gelingen. Man wird also die Wahl der Sprache mit ihm besprcchen, es beim Entscheidungsfindungsprozess begleiten. Das ist für alle Beteiligten nicht einfach: Alle stehen an einem Scheideweg. Was ist im Leben wichtig? Das gemeinsam zu durchdenken ist ein Beitrag zum selbstständigen verantwortungsbewussten Denken und Handeln. Keiner kennt die Folgen der Wahl wirklich, keiner weiß, was um die Ecke kommt. Es ist ein Risiko - wie im echten Leben - und jeder wird neue Erfahrungen machen.

Man kann jemanden zwar nicht zum Denken zwingen, aber man kann dafuer sorgen, dass er sich selbst zwingt. Das Resultat ist dasselbe: Der Schueler ist nicht frei, nicht selbststaendig, er kann in der Schule also unmoeglich das selbststaendige Denken lernen.

Ob Kinder sich im Unterricht selbst zwingen, wie Sie behaupten, oder für den Stoff begeistern oder manchmal zwingen und manchmal begeistern, ist einzig und allein ihre Entscheidung, denn sie sind ja frei: Sie können sich gegen Widerstände wehren, klein beigeben oder sich abmelden oder die Lust des Lernens entdecken. Hier spielen Lust und Unlust eine große Rolle. Unlust bzw. Zwang kann sich in Lust verwandeln und Lust in Unlust, das kennen wir wohl alle. Wie das Lustprinzip die Freiheit tangiert ist noch einmal ein weiteres Thema; und ob Lust wirklich Ausdruck von Freiheit oder gerade ihr Gegenteil ist, diskutieren die Philosophen unter dem Begriff Determinismus.
Wenn ein Schüler klug ist und der Lehrer nicht gerade ein Pfeife, wird er die Gelegenheit ergreifen und seinen Horizont, seine Erfahrungen und sein Denkvermögen erweitern und damit in seiner Selbstbefreiung voranschreiten. Was in seinem Inneren geschieht, ist für Außenstehende unsichtbar und nicht gezielt zu beeinflussen. Lernimpulse treffen auf Vorerfahrungen, Neugier, Kreativität etc.. Wie und was Schüler lernen, ist so individuell wie ihr Fingerabdruck. Menschen diese Möglichkeit zur Selbstbefreiung vorzuenthalten, weil die Schulpflicht sie ihrer Freiheit beraubt, bestreite ich. Meine Gründe: Denken, Fühlen und Handeln hängen von unglaublich vielen Faktoren ab. Bedürfnisse und Bedeutungen verändern sich, befinden sich in einem nie stillstehenden Fluss, wie gerade angedeutet. Außerdem gibt es keinen kausalen Zusammenhang zwischen Schulpflicht und dem Ende der Gedankenfreiheit. Es gibt diesbezüglich kein unausweichliches bzw. notwendiges Wenn-dann-Verhältnis, keinen logischen Widerspruch. Die Entscheidungsfreiheit einzuschränken hat nicht automatisch zur Folge, dass die Gedankenfreiheit vernichtet wird. - Ich beziehe mich auf folgende Ihrer Aussagen:

Die Schule schraenkt den Handelsspielraum des Kindes enorm ein und hindert das Kind daran, seine eigenen Entscheidungen zu treffen und neue Wahlmoeglichkeiten zu erschaffen.

Das Erschaffen der eigenen Wahlmoeglichkeiten ist Teil der Gedankenfreiheit. Die Schule ist also das Gegenteil der Gedankenfreiheit.

Wir sind also wieder beim selben Widerspruch: Zu behaupten, die Schule diene der Gedanken- oder Wahlfreiheit, ist ein Widerspruch in sich. Genau das Gegenteil ist der Fall.

Weiter heißt es in Ihrem Text:

Sie haben also nicht nur Ihr logisch unmoegliches Ziel, Kindern die Gedankenfreiheit (unbewusst) aufzuzwingen und sie damit vom angeblichen familiaeren Faschismus zu befreien, verfehlt (…), sondern Kindern ganz im Gegenteil diese Freiheit systematisch geraubt und ihnen den Faschismus aufgedrueckt.

Finden Sie es faschistisch, dass es eine Führerscheinpflicht gibt? Es gibt kein “Wenn-dann” von Zwang zu Unfreiheit. Ich unterwerfe mich der Prüfung, ich habe keine andere Wahl, um frei und möglichst unbeschadet am Verkehr teilnehmen zu können. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass der deutsche Autofahrer die Pflicht und das Fahren als Freiheitsentzug auffasst. Das führt mich zu einer weiteren Schwachstelle Ihrer Stellungnahme.
In Ihrer Betrachtung gehen Sie auf die Inhalte und den Zweck der Schule kaum ein.
Die Schule hat in Deutschland nicht das Ziel, den Willen der Schüler zu brechen, wenngleich sie heutzutage wie oben beschrieben, den Schüler instrumentalisiert. Nach wie vor gilt: Der Lernstoff und die Methode darf nicht menschenverachtend sein. Er richtet sich nach wissenschaftlichen Prinzipien und dem Grundgesetz; es gilt das Überwältigungsverbot. Schule zielt auf Befähigung und damit ganz pauschal auf mehr Freiheit; auch wenn ich diese Art von Freiheit kritisiere.

Sie scheinen davon überzeugt, dass Sie mit dem nackten Verstand und unter Ausblendung des Lebendigen selbst existentielle und gesellschaftliche Probleme lösen zu können. Das halte ich für eine Sackgasse. Newton kann noch keinen Grashalm erklären, meint der alte Kant. Sie orientieren sich an David Deutsch. Er ist Physiker und insofern für mich Anorganiker, weil er die Welt parzelliert, sie also in tote Objekte zerlegt, die nicht mehr lebensfähig sind, sich nicht mehr verändern, aber dafür berechenbar sind: Ein Bleistift bleibt auf dem Tisch liegen, wenn nichts ihn bewegt; eine Schildkröte krabbelt ganz von alleine im Nu woanders hin…
David Deutsch behandelt auch Sie wie ein Objekt, nicht wie ein wertzuschätzendes Subjekt. Das haben Sie schmerzlich zu spüren bekommen. Aber Sie scheinen es nicht zu wagen, diese Zumutung wirklich anzugehen. Sie leiden stumm und bleiben passiv, oder? Wo bleibt Ihre Wut? Laut Horkheimer die Feuerkraft zum Denken:“ Denken ist geballte Wut”, schreibt er. Fragen Sie bitte nicht, wo das steht. - Auch das - nebenbei bemerkt - ein Argument gegen den Automatismus von Zwang und Feiheitsberaubung. - Vielleicht weil Sie Ihr eigenen Vorstellungen in Frage stellen müssten? Eine an die Wurzeln gehende Herausforderung bzw.Selbstkritik? - Kein Wunder, dass die Athener Sokrates abserviert haben.
Das ist jetzt vielleicht ein bisschen frech, aber Sie sind ja auch nicht zimperlich:

Sie hatten offensichtlich auch kein richtiges Verstaendnis dessen, was eine freie Wahl ist. (…) Es gibt in der Schule keine Wahl.

Auch das Gegenteil der Freiheit verstehen Sie anscheinend nicht:

Die Unfaehigkeit, selbststaendig zu denken, ist sicherlich das Resultat des Faschismus, aber wohl nicht dessen Ursache.

Denken Sie dabei an den deutschen Faschismus als historisches Phänomen? Ich hatte geschrieben: “Der Faschismus wurzelt maßgeblich in der Unfähigkeit, selbstständig zu denken.” Über die gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Ursachen müsste man viel mehr darstellen.

Meine Frage nach der Alternative, wenn die Schulpflicht abgeschafft ist, zielt darauf, die Schule als gesellschaftliche Institution zu ersetzen, die es seit über 100 Jahren bei uns als Pflichtschule gibt.
Ich frage nach dem freien Lernen für alle jungen Leute aus allen Schichten. Was heißt es für die Tochter des Busfahrers und der Putzfrau, die im Hochhaus in einem Brennpunktviertel wohnen, dem Sohn des Bauarbeiters. der kein Deutsch spricht. Was müsste sein, damit alle freier leben können? Welche Widrigkeiten müsste man auf jeden Fall ausschalten etc. ? Ich bin auf Ihre Alternative gespannt, die die die gesellschaftlichen Probleme einbezieht.

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Dennis Hackethal ·

Die Sprachauswahl im Gymnasium ist ein kulturell begründetes Angebot, dem ich als Bildungsbürgerin zustimme.

Das ist dem Kind, das zu dieser ‘Wahl’ gezwungen wird, voellig egal. Erneut: Das Kind muss dem, was da mit ihm geschieht, zustimmen – doch nicht Sie!

Wenn Sie das nicht wollen, gehen Sie auf die Haupt-oder Realschule. Sie werden einwenden, dass man nicht frei ist, nicht zur Schule zu gehen. Stimmt. Es ist Entscheidungsfreiheit, aber keine schrankenlose Freiheit. Wenn ich recht weiß, wollen auch Sie auf den Schutz des Eigentums nicht verzichten.

Natuerlich hoert die Freiheit des einen bei der Freiheit des anderen auf. Das bedeutet aber nicht, dass Sie als Lehrerin deshalb die Freiheit des Kindes aktiv verletzen duerfen. Im Gegenteil hoert Ihre Freiheit da auf, wo die des Kindes beginnt (oder beginnen sollte).

Apropos Eigentum, Sie koennten mir ja mal sagen, wie oft Sie oder andere Lehrer das Eigentum von Schuelern konfisziert haben?

Ich bezweifle nicht, dass ein 12Jähriger einen freien Willen hat, bestreite aber aufgrund meiner Berufserfahrung und meiner eigenen Biographie, dass es sein eigener Wille ist. Mit 10 Jahren, Klasse 5 sind Kinder - mit ganz ganz wenigen Ausnahmen - durch die Vorstellungen ihres Elternhauses geprägt. Das bestätigt auch Hüther. Zwei Jahre später durch Gruppenzwang.

Das mag ja sein. Aber dann koennte es doch daran liegen, dass das Kind zuerst von den Eltern, dann von Mitschuelern – die es ohne die Schule als solche nicht gaebe – unter Druck gesetzt wird. Sie wollen dem mit mehr Druck begegnen? Das ergibt erneut keinen Sinn. Nur weil bereits Zwang besteht, heisst das nicht, dass man noch mehr Zwang oben draufsetzen sollte.

Und ob ein Kind “eigene Alternativen” erschaffen kann, steht dahin.

Das koennte es, wenn es nicht systematisch davon abgehalten wuerde.

Ich weiss nicht, ob Sie sich dessen bewusst sind, dass Sie, wann immer Sie ueber die Faehigkeiten eines Kindesverstandes sprechen, erkenntnistheoretische Behauptungen aufstellen. Es lohnt sich, diese als solche zu untersuchen.

Man wird also die Wahl der Sprache mit ihm besprcchen [sic], es beim Entscheidungsfindungsprozess begleiten. Das ist für alle Beteiligten nicht einfach: Alle stehen an einem Scheideweg. Was ist im Leben wichtig? Das gemeinsam zu durchdenken ist ein Beitrag zum selbstständigen verantwortungsbewussten Denken und Handeln. Keiner kennt die Folgen der Wahl wirklich, keiner weiß, was um die Ecke kommt. Es ist ein Risiko - wie im echten Leben - und jeder wird neue Erfahrungen machen.

Was das mit dem Thema zu tun hat, ist mir schleierhaft.

Ich finde, Sie sollten das Programmieren lernen. Sie wollen das nicht? Das wollen Sie nur deshalb nicht, weil Sie noch nicht programmieren koennen. Das Programmieren interessiert Sie nicht? Wenn Sie programmieren koennten, wuessten Sie, dass es ein sehr interessantes Feld ist. Ausserdem fehlt Ihnen ohne das Programmieren der intellektuelle Reifegrad, um Ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Wer nicht Programmierer ist, ist unfrei; nur wer erfolgreich zum Programmieren gezwungen wird, kann frei sein.

Natuerlich lasse ich Ihnen die ‘Wahl’, welche Programmiersprache Sie (aus meiner Vorauswahl) auswaehlen: Ruby, JavaScript oder Clojure. Fuer eine der drei Sprachen muessen Sie sich aber entscheiden. Weigern Sie sich, treffe ich die Entscheidung fuer Sie und zwinge Ihnen dann diese Entscheidung auf. Sie finden, das beschneidet Ihre Freiheit? Sie koennen noch nicht programmieren, daher haben Sie ein mangelndes Freiheitsverstaendnis. Ohne das Programmieren wissen Sie gar nicht, was Freiheit bedeutet – Ihre Einwaende kann ich daher guten Gewissens ignorieren. Ich habe sowieso nur beste Absichten.

Sicherlich ist diese Entscheidung fuer eine Programmiersprache fuer alle Beteiligten nicht leicht. Was ist im Leben wichtig? Wir denken das gemeinsam durch und ich begleite Sie in Ihrer Wahl. (Aber wehe, Sie wollen nicht Programmieren lernen!)

Ob Sie sich dabei selbst zwingen oder fuer das Programmieren begeistern, ist einzig und allein Ihre Entscheidung, denn Sie sind ja frei. Natuerlich beschneidet meine Entscheidung, Sie jeden Tag stundenlang zum Programmieren zu zwingen, Ihre Gedankenfreiheit nicht im Geringsten! Hier spielen Lust und Unlust eine grosse Rolle. (Wenn Sie es nicht schaffen, sich fuer das Programmieren zu begeistern, ist es also Ihre eigene Schuld.)

Zum Programmieren gezwungen zu werden wird Ihr Denkvermoegen unglaublich erweitern. (Gleichzeitig behaupte ich jedoch, dass Ihr Inneres fuer Aussenstehende unsichtbar ist.) Wie und was Sie lernen, ist so individuell wie Ihr Fingerabdruck (auch wenn Sie und alle Ihre Altersgenossen definitiv das Programmieren lernen muessen).

Zum Programmieren gezwungen zu werden hilft Ihnen tatsaechlich bei der Selbstbefreiung. Ihre Bedürfnisse und Bedeutungen verändern sich schliessig staendig!

Sehen Sie jetzt vielleicht, wie laecherlich die voranstehenden Absaetze klingen? So klingt das, was Sie bisher geschrieben haben, fuer mich. Voller Widersprueche und non sequiturs.

Finden Sie es faschistisch, dass es eine Führerscheinpflicht gibt?

Nein. Die alte Verkehrsleier habe ich bereits besprochen.

Ich unterwerfe mich der Prüfung, ich habe keine andere Wahl, um frei und möglichst unbeschadet am Verkehr teilnehmen zu können.

Es steht Ihnen frei, sich nicht der Pruefung zu unterwerfen. Diese Freiheit haben Kinder nicht – daher hinkt der Vergleich und der Widerspruch in Ihrer Denkweise bleibt bestehen; der ‘Automatismus’, wie Sie ihn beschreiben, also wenn-Zwang-dann-Unfreiheit, bleibt bestehen.

Sie sehen sich vielleicht gezwungen, sich der Fueherscheinpruefung zu unterwerfen, bspw. weil Sie auf ein Auto angewiesen sind. Das ist aber nicht dasselbe, wie wenn man von anderen Menschen dazu gezwungen wird. Niemand sucht sie zu Hause auf, wenn Sie lieber keinen Fuehrerschein haben moechten. Sie befinden sich mit dem Fuehrerschein also in einer ganz anderen Situation als der Schueler, der einer Pruefung unterworfen wird.

Nach wie vor gilt: Der Lernstoff und die Methode darf nicht menschenverachtend sein.

Sind sie aber. Also muss der Schulzwang abgeschafft werden.

Er richtet sich nach wissenschaftlichen Prinzipien […]

Szientismus. Die Wissenschaft kann keine Unmoral begruenden.

[…] und dem Grundgesetz; es gilt das Überwältigungsverbot.

Dann sollten Lehrer ihre Schueler nicht staendig ueberwaeltigen.

Schule zielt auf Befähigung und damit ganz pauschal auf mehr Freiheit; auch wenn ich diese Art von Freiheit kritisiere.

Das hat nichts mit Freiheit zu tun. Ich habe bereits mehrfach erklaert, wieso Ihr Freiheitsverstaendnis falsch ist. Warum tun Sie sich damit so schwer?

Freiheit besteht nicht aus einem gewaehrleisteten Handlungsspielraum oder einer bestimmten Befaehigung.

Freiheit bedeutet grob gesagt, dass man von anderen in Ruhe gelassen wird, wenn man in Ruhe gelassen werden moechte.

Aus diesem Freiheitsverstaendnis folgt der ‘Automatismus’, wie Sie sie ihn nennen: Uebt jemand Zwang auf Sie aus, laesst er sie nicht in Ruhe, obwohl Sie in Ruhe gelassen werden moechten. Er beschneidet also Ihre Freiheit.

Sie scheinen davon überzeugt, dass Sie mit dem nackten Verstand und unter Ausblendung des Lebendigen selbst existentielle und gesellschaftliche Probleme lösen zu können.

Was Sie hier als “nackten Verstand” und “Ausblendung des Lebendigen” verspoetten ist einfach nur widerspruchsfreie Logik.

Ayn Rand erklaert in Atlas Shrugged, dass diejenigen, die sich der Vernunft bedienen, leider das ausbaden muessen, was die Anhaenger der Unvernunft an Schaden anrichten. Ihre Schueler mussten dies jahrzehntelang fuer Sie tun; Widersprueche kosten. Auch heute noch zahlen Schueler den Preis fuer die moralischen Verbrechen ihrer Lehrer und deren widerspruechliches Freiheitsverstaendnis. Die Lehrer sollten sich schaemen.

Bei Ihnen gibt es hingegen einen Lichtblick: Sie gehen auf das Thema Schulzwang ein, weisen es nicht sofort von der Hand; halten es zumindest fuer moeglich, so ist mein Eindruck, dass Sie unmoralisch gehandelt haben.

Sie beziehen sich auf einmal auf Deutsch und implizieren, seine Gedanken zur Erziehung gaelten nicht, weil er nur Physiker sei. Das tut nichts zur Sache, da seine Gedanken zu dem Thema philosophischer/erkenntnistheoretischer Natur sind. (Auf die Ironie, dass Sie dies als Chemikerin sagen, muss ich wohl nicht hinweisen.)

Ein Bleistift bleibt auf dem Tisch liegen, wenn nichts ihn bewegt; eine Schildkröte krabbelt ganz von alleine im Nu woanders hin…

Wovon reden Sie denn bitte?

David Deutsch behandelt auch Sie wie ein Objekt, nicht wie ein wertzuschätzendes Subjekt. Das haben Sie schmerzlich zu spüren bekommen.

Worauf beziehen Sie sich hier? Das wuerde mich sehr interessieren.

Ihren Ausfuehrungen zur Wut kann ich nur beschraenkt folgen, ich weise aber darauf hin, dass Sie Ihren Schuelern die Freiheit, Ihre “Zumutung[en] wirklich anzugehen”, systematisch geraubt haben. Dies ist also erneut ein Widerspruch.

Auch das Gegenteil der Freiheit verstehen Sie anscheinend nicht:

Die Unfaehigkeit, selbststaendig zu denken, ist sicherlich das Resultat des Faschismus, aber wohl nicht dessen Ursache.

Fehlzitat. Wenn Sie einen Absatz entfernen, sollte das entsprechend mit […] oder (…) gekennzeichnet werden.

Denken Sie dabei an den deutschen Faschismus als historisches Phänomen?

Ja?

Was müsste sein, damit alle freier leben können?

S. o. Andere muessten sie in Ruhe lassen, wenn sie in Ruhe gelassen werden wollen. Je mehr sie in Ruhe gelassen werden, desto freier sind sie.

Welche Widrigkeiten müsste man auf jeden Fall ausschalten etc. ? Ich bin auf Ihre Alternative gespannt, die die die [sic] gesellschaftlichen Probleme einbezieht.

Ich weise erneut darauf hin, dass ich das im Detail nicht darlegen kann.

Es ist nicht meine Aufgabe, darueber nachzudenken, was der “Sohn des Bauarbeiters” in seiner Freizeit macht. Er soll halt das machen, was er moechte.

Wenn Ihnen das als Beschreibung nicht ausreicht, lade ich Sie dazu ein, sich zu fragen, woran das liegen koennte.

Roswitha Kant ·

Um es ehrlich zu sagen: Meine Motivation weiter zu schreiben befindet sich auf einem Nullpunkt, obwohl ich mich freiwillig darauf eingelassen habe. Ihre Gesprächsführung setzt mich gewaltig unter Druck. Inhaltlich eröffnen Sie mir keine neuen Aussichtspunkte, indem Sie meine Sichtweise nach Maßgabe Ihrer - in Stein gemeißelten - logisch-rationalen Schlüsse kritisieren. Zugegeben: Dank Ihrer Impulse ist mir einiges zum Thema Schulpflicht klarer geworden. Dennoch. Unsere Positionen stehen antithetisch gegenüber. Eine Aus-einander-setzung, kein gemeinsames Mühen, um der Wahrheit vielleicht näher zu kommen (vgl. Ihre Übersetzung vom 28.08.2023). Genau auf diesen kollegialen, tastend vorsichtigen und kreativen Suchprozess hatte ich mich gefreut - ich hatte wohl falsche Erwartungen gehegt. Ich kann nicht wahrnehmen, dass wir auf Poppers Pfaden wandeln. Anders gesagt: kaum Lernfortschritte, Lernziele eher verfehlt. In Summe: ungenügendes Philosophieren. Schade.

Ich will mich mit einem letzten Beitrag aus diesem Blog verabschieden. Ihren Vorschlag, das Programmieren zu vermitteln, begrüße ich sehr; prima, weil emanzipativ im Sinne der Aufklärung. Wenn man daraus ein fächerübergreifendes Projekt entwickelt, indem man Mathematik, Philosophie und Biologie ins Boot holt, könnte man entscheidende Zukunftsfähigkeiten für das digitale Zeitalter fördern: Fachwissen, kritisch-konstruktives selbstständiges Denken, Handlungs- und Urteilskompetenz, Erkenntnistheorie, Ethik und Anthropologie sowie Ökologie. Das sollte doch wohl allen jungen Leuten ermöglicht werden, oder?

Dennis Hackethal ·

Es war nicht meine Absicht, Sie unter Druck zu setzen. Ich habe meine vorigen Nachricht nochmal durchgelesen und mir ist klar geworden, dass ich einige Sachen vorsichtiger haette ausdruecken koennen. Das war mein Fehler.

Abschliessend moechte ich gerne noch ein paar Dinge sagen und abrunden, um die Diskussion zu beenden.

Inhaltlich eröffnen Sie mir keine neuen Aussichtspunkte, indem Sie meine Sichtweise nach Maßgabe Ihrer - in Stein gemeißelten - logisch-rationalen Schlüsse kritisieren.

Wuerden unlogisch-irrationale Schluesse Sie also stattdessen ueberzeugen? Mir ist nicht klar, welche andere Schlussfolgerung mir hier uebrig bleibt.

Vielleicht meinen Sie, dass meine Antworten auf Ihre Argumente ‘kalt’ oder unbarmherzig sind. So ist zumindest mein Eindruck, dass meine Argumente so auf Sie wirken. Ich hatte ja bereits Atlas Shrugged angesprochen – zu dem Thema finden Sie Genaueres in meinem Artikel ‘Charity vs Justice’. Kurz gesagt: Es geht um Barmherzigkeit vs. Gerechtigkeit. Wir koennen uns die Konsequenzen unserer Ideen und Handlungen nicht aussuchen, und ich will Ihnen nicht dabei helfen, dem Schaden, den Sie Ihren Schuelern ueber Jahrzehnte hinweg hinzugefuegt haben, indem Sie ihren Verstand zweckentfremdet haben, auszuweichen. Ich sage das nicht, um Sie unter Druck zu setzen. Ich will nur nicht, dass die Opfer – Ihre Schueler – die Kosten tragen.

Uebrigens sind meine Ansichten nicht in Stein gemeisselt. Ich moechte nicht falsch liegen und aendere gerne meine Meinung, wenn sie widerlegt wird. Aber sie muss eben doch erst widerlegt werden, oder zumindest muss die neue Meinung irgendwelche Vorzuege haben, die meine Meinung bisher noch nicht hat.

Ich fuerchte, der Sinn meines Beispiels mit dem Programmieren ist Ihnen entgangen. Es geht nicht darum, Ihnen das Programmierenlernen zu ermoeglichen – das ist ja so oder so bereits fuer Sie moeglich –, sondern aufzuzeigen, wie furchtbar es waere, Sie zum Lernen – eines beliebigen Themas – zu zwingen. Nehmen Sie an, das Programmieren interessiert Sie nicht. Dann waere es unmoralisch, Sie dennoch dazu zu zwingen, und es wuerde keinen Sinn ergeben, davon zu sprechen, dass Ihnen etwas “ermöglicht” wuerde. Das Gegenteil ist der Fall: Es waere natuerlich alles anderes als “emanzipativ”. Das waere so, als wuerde ein Taschendieb allen Ernstes behaupten, er ‘ermoegliche’ es seinen Opfern, ihm Geld zu geben! Sie scheinen nur auf den Zweck zu schauen, nicht auf die Mittel. Es besteht selbstverstaendlich ein riesiger Unterschied zwischen dem erzwungenen und dem freiwilligen Lernen.

Ich habe zu dem Thema ‘ermoeglichen’ unter dem originellen Begriff ‘Christmas-goose rights’ hier mehr geschrieben.

Zu der Frage, wie das Lernen eigentlich funktioniert, sowie was der Zweck des eigenen Verstandes ist, sind wir leider nicht gekommen. Vielleicht haette Ihnen dies neue Aussichtspunkte geboten. Jedenfalls denke ich, es waere klarer geworden, wieso auch Kleinkinder sehr wohl in der Lage sind, selbststaendig zu lernen. Doch man braucht dies nicht verstehen, um einzusehen, dass die Schule eklig ist: Selbst wenn es Kindern aus irgendeinem erkenntnistheoretischen Grund unmoeglich waere, von Anfang an selbststaendig zu lernen, kann man diese Selbststaendigkeit natuerlich nicht entwickeln, indem man sie jahrelang bevormundet.

Am Ende ist es wohl einfach unser gegensaetzliches Freiheitsverstaendnis, das wir nicht vereinbaren konnten (wie soll das bei Gegensaezlichem auch moeglich sein). Zu meinem Freiheitsverstaendnis interessieren Sie vielleicht diese zwei Artikel:

Beide Artikel sprechen mit unterschiedlichen Blickwinkeln den Widerspruch an, der m. E. Ihrem Freiheitsverstaendnis zugrundeliegt.

Zu guter Letzt habe ich eine Art Meta-Analyse unserer Diskussion vorgenommen, als eine Art Retrospektive. Diskussionen verzweigen sich ja in einer Art Baumstruktur – hatten wir solche Baeume nicht auch mal bei Ihnen im Unterricht gemacht? Wie dem auch sei, dieser Baum bietet einen guten Ueberlick ueber unsere Argumente, wie ich finde. Er zeigt auch auf, dass ich auf alle Ihre Punkte eingegangen bin und meine Meinung soweit unwiderlegt steht, wohingegen Ihre Ansicht widerlegt ist, zumindest bisher. Es bleibt also dabei, dass Freiheit nicht in der Gewaehrleistung bestimmter Gedanken oder Handlungsspielraeume liegt und auch nicht liegen kann, sondern nur in Abwesenheit des Zwanges moeglich ist.

Vielleicht finden Sie diese Zusammenfassung jetzt zu ‘kalt’ oder ‘in Stein gemeisselt’ oder ‘unbarmherzig’, doch dieses Vorgehen, wie der Diskussionsbaum es veranschaulicht, hat Popper als das rationalste Vorgehen bezeichnet (Zitat hier). Insofern denke ich schon, dass wir “auf Poppers Pfaden” wandelten.

Mir hat die Diskussion auf jeden Fall Spass gemacht und ich danke Ihnen dafuer. Damit schliesse ich die Diskussion.

This discussion is at an impasse. It is not accepting new messages but may continue later.
Participants
  • Dennis Hackethal
  • Roswitha Kant

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