Dennis Hackethal’s Blog

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Discussion about ‘Betrachtungen zum Krieg’

Roswitha Dr. Kant ·

'S ist Krieg.' S ist Krieg!" (Matthias Claudius, 1778) in der Ukraine und im Nahen Osten.
In Deutschland bewirkt Krieg vor der Haustür gleichzeitig Reflexionsverlust und emotional hoch aufgeladenen, akuten Handlungsdruck. Auf die kriegerischen Aktionen folgt in der Mehrzahl der veröffentlichten Reden wie zwangsläufig die Forderung nach einer gewalttätigen Reaktion, um die Störung zu beseitigen. Alternativlos, so scheint es. Selbst die differenziertesten Köpfe agieren unter Annullierung der Aufklärung: Töte, bevor du getötet wirst!

Gefragt sind jetzt die Philosophen, die gelernt haben, in erster Linie nachzudenken und nachzuforschen, Behauptungen in Zweifel zu ziehen, die Perspektive zu wechseln und Zusammenhänge herzustellen, um kritisch und gelassen Komplexes zu analysieren; bevor sie abwägend urteilen und im
letzten Schritt, mit aller gebotenen Umsicht, mögliche Handlungsoptionen auszusprechen. Ihr großer Vorteil: Philosophen sind um unvoreingenommenes Verstehen bemühte Betrachter. Als solche müssen sie nicht handeln, weil sie nicht direkt betroffen sind. Das erregt oft Unmut, kann aber doch nützlich sein. Denn die philosophischen Reflexionen klammern Leidenschaften aus, erweitern den Horizont sowie den Möglichkeitssinn und können so helfen, Konflikte zu lösen - wenn auch nicht sofort.

In diesem Sinne soll es bei den folgenden Betrachtungen um Grundsätzliches gehen. Wir fragen uns: Was sind die Gründe und Begründungen für Kriege? Wie werden und sollten Kriege geführt werden? Welche Kriegsziele werden verfolgt? Wie kann Frieden gestaltet werden?
Nach diesem analytischen fragen wir uns im zweiten Teil exemplarisch, wie im Nahen Osten verlässliche Friedfertigkeit aussehen könnte.

Roswitha Dr. Kant ·

Zur analytischen Betrachtung und Begriffsklärung:
Krieg ist ein gewalttätiges Geschehen zwischen mindestens zwei Parteien, das zwischen Vor- und Nachkriegszeit eingebettet ist und sich zu Lande und zu Wasser vollziehen kann. Krieg steht im Gegensatz zu Frieden, der durch die Gültigkeit des Rechts gekennzeichnet ist.
Ausgelöst werden Kriege durch Interessengegensätze, die sich vermeintlich weder kommunikativ-diplomatisch noch rechtlich vor Gericht, in einem Prozess, lösen lassen. "Im Krieg oder Bürgerkrieg kommt es zu einem organisierten und systematischen Einsatz von Gewalt. Es werden in der Regel alle verfügbaren Mittel eingesetzt, um die Gegenseite nachhaltig zu schädigen." (Holger Meeh: Konfliktdefinitionen. Neckar Verlag 2/20014, S. 14)
Man unterscheidet grob: Angriffs- und Verteidigungskriege. Vorrangige Ursachen der Angreifer können sein: Die Sicherung und Erweiterung von Macht, Bereicherung durch Eroberung von Land, Besitz, Märkten, Menschen u.a. , die Befreiung Geknechteter, der Schutz von Minderheiten und die Austragung von Leidenschaften wie Rache, Hass, Vergeltung, Habgier.
Kriege werden nach gescheiterten Verhandlungen als alternativlos gerechtfertigt, um Rechtsbruch oder Unrecht zu ahnden, um Gutes zu mehren und Böses zu mindern.
Krieg schafft einen Zustand von Unfreiheit, Würde- und Rechtlosigkeit: Der Soldat wird entmündigt; er muss gehorchen. Der General muss Vernichtung und Auslöschung befehlen; es sind unmoralische Befehle, die er als ehrbarer Kulturbürger verabscheut. Die Zivilbevölkerung ist schutzlos schlimmster Barbarei ausgesetzt. Alle, die sich im Kriegsgebiet aufhalten, sind in permanenter Todesgefahr und sehen sich gezwungen, den anderen zu töten, bevor er selbst getötet wird. In dieser Hölle geht es ums Überleben; der militärische Sieg ist der Zweck, der alle Mittel heiligt und seien sie noch so deformierend für den Menschen als vernunftbegabtes Wesen. Während der Staat in Friedenszeiten dem Einzelnen jedes Unrecht untersagt, ihn zu ethisch verantwortlichem Handeln anhält, gibt der kriegführende Staat jedes Unrecht, jede Gewalttätigkeit gegenüber dem Feind frei, er instrumentalisiert, verschuldet und entwürdigt ihn derart.

Roswitha Dr. Kant ·

Krieg beginnt also mit der Vergewaltigung der eigenen Bevölkerung. Joseph Roth erzählt in seinem Roman "Radetzkymarsch" den Beginn des Ersten Weltkrieges in der österreichischen Provinz: "Vom Armeekommando kamen zahlreiche und sehr verschiedene Befehle. Die meisten bezogen sich auf die Evakuierung der Dörfer und Städte und auf die Behandlung der russisch gesinnten Ukrainer, der Geistlichen und der Spione. Voreilige Standgerichte verkündeten in den Dörfern voreilige Urteile. Geheime Spitzel lieferten unkontrollierbare Berichte über Bauern, Popen. Lehrer, Photographen, Beamte. Man hatte keine Zeit. Man mußte sich schleunigst zurückziehen, aber auch die Verräter schleunigst bestrafen. (...) von den Kirchplätzen der Weiler und Dörfer (knallten) die Schüsse der hastigen Vollstrecker hastiger Urteile, und der düstere Trommelwirbel begleitete die eintönigen Urteilssprüche der Auditoren, und die Weiber der Ermordeten lagen kreischend um Gnade vor den kotbedeckten Stiefeln der Offiziere, und loderndes rotes und silbernes Feuer schlug aus Hütten und Scheunen, Ställen und Schobern. Der Krieg der österreichischen Armee begann mit Militärgerichten. Tagelang hingen die echten und die vermeintlichen Verräter an den Bäumen auf den Kirchplätzen, zur Abschreckung der Lebendigen. (...) Leutnant Trotta ging näher an die Gehenkten heran. Er sah in ihre aufgedunsenen Gesichter. Und er glaubte in den dreien den und jenen seiner Soldaten zu erkennen. Das waren die Gesichter des Volkes, mit dem er jeden Tag exerziert hatte." (Joseph Roth, Radetzkymarsch. Verlag KiWi Köln 1956, S. 309f)

Kritik und Widerstand im eigenen Land begegnet der kriegführende
Staat nicht nur martialisch. Er formuliert Zielvorstellungen, die angesichts der Bedrohungssituation alternativlos erscheinen: Auf dem Spiel stehe die Wiederherstellung von Ordnung, Sicherheit, Wohlergehen und Frieden. Um diese Ziele zu verwirklichen wird die unbedingte Unterstützung sowie der Zusammenhalt aller benötigt. Bewährt hat sich diesbezüglich eine Strategie, die immun ist gegen jeden Einwand und mindestens zwei Elemente enthält: nämlich Irrationalität und moralische Überlegenheit.
Irrationalität, die propagandistisch verstärkt wird und sich auf Kosten von Vernunft, Aufklärung und Empathie in der Gesellschaft durchsetzt.
Öffentlichkeitswirksam stehen dann im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit: die Angst um das eigene Leben, der Glaube im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein sowie der Glaube an die technische Machbarkeit eines Sieges u.a.. Selbst die scharfsinnigsten Menschen erleben sich gegenüber solch aufgeblähter Leidenschaftlichkeit und eines grandiosen Überlegenheitsgefühls als ohnmächtig. Sie wissen, dass selbst der kleinste Zweifel sanktioniert wird. Die Unausweichlichkeit und selbst die unmenschlichste Härte der Kriegführung lässt sich mit diesem Gefühlsüberschuss vermitteln und durchführen.
Zum zweiten strategischen Mittel: Man unterscheidet schlicht in Gute und Böse. Die Bekämpfung der Bösen bedarf keiner ethisch-vernünftigen Rechtfertigung; sie ist selbstverständlich hinzunehmen wie ein Naturgesetz; nur Schwachsinnige stellen sie in Frage. - Wie es zu dieser Verblendung kommen kann, ist ein weites Feld und hier nicht auszuloten.

Roswitha Dr. Kant ·

Jeder Krieg ist schrecklich. Es ist müßig zu untersuchen, ob der Trojanische, der Dreißigjährige oder der Vietnamkrieg der schrecklichste war. Lohnender ist die Frage, wie Krieg unter vernunftbegabten Menschen geführt werden sollte. Was können wir diesbezüglich aus der Vergangenheit lernen?

In seinem Aufsatz von 1915 "Zeitgemäßes über Krieg und Tod" betont Freud die Diskrepanz zwischen dem Kulturniveau der Friedenszeit und dem Kulturverlust mit Beginn des Ersten Weltkrieges. Er bewertet diese Kluft als "Zerstörung einer Illusion" ( in: Gesammelte Werke, Band 10, S. 40). "Der Krieg, an den sie nicht glauben wollten, brach nun aus, und er brachte die - Enttäuschung. Er ist nicht nur blutiger und verlustreicher als einer der Kriege vorher, infolge der mächtig vervollkommneten Waffen des Angriffes und der Verteidigung, sondern mindestens ebenso grausam, erbittert, schonungslos wie irgendein früherer. Er setzt sich über alle Einschränkungen hinaus, zu denen man sich in friedlichen Zeiten verpflichtet, die man das Völkerrecht genannt hatte, anerkennt nicht die Vorrechte des Verwundeten und des Arztes, die Unterscheidung des friedlichen und des kämpfenden Teils der Bevölkerung, die Ansprüche des Privateigentums. Er wirft nieder, was ihm im Wege steht, in blinder Wut, als sollte es keine Zukunft und keinen Frieden unter den Menschen nach ihm geben. Er zerreißt alle Bande der Gemeinschaft unter den miteinander ringenden Völkern und droht eine Erbitterung zu hinterlassen, welche eine Wiederanknüpfung derselben für längere Zeit unmöglich machen wird." (Ebenda S. 38)
Die Ausführungen sind aktueller denn je, wenn Freud die Unerwartetheit, die Eskalation, die moralische und rechtliche Verrohung des Krieges und die Ausblendung der Zukunft hervorhebt.
Um dem gegenüber eine humanistisch geprägte, zukunftsorientierte Kriegsführung in der enger werdenden globalisierten Welt vorstellbar zu machen, greift Freud zurück auf griechische Kulturgemeinschaften, die den Krieg zwar nicht wollen, ihn aber gleichwohl antizipieren: "Als eine Gelegenheit, die Fortschritte im Gemeingefühl der Menschen aufzuzeigen (...)." Verboten war, " eine dem Bündnis angehörige Stadt zu zerstören, ihre Ölbäume umzuhauen und ihr das Wasser abzuschneiden." Man stellte ihn sich vor, "(als) einen ritterlichen Waffengang, der sich darauf beschränken wollte, die Überlegenheit des einen Teiles festzustellen, unter möglichster Vermeidung schwerer Leiden, die zu dieser Entscheidung nicht beitragen könnten, mit voller Schonung für den Verwundeten, der aus dem Kampfe ausscheiden muß, und für den Arzt und Pfleger, der sich seiner Herstellung widmet. Natürlich mit allen Rücksichten für den nicht kriegführenden Teil der Bevölkerung, für die Frauen, die dem Kriegshandwerk ferne bleiben, und für die Kinder, die, herangewachsen, einander von beiden Seiten Freunde und Mithelfer werden sollen. Auch mit Erhaltung all der internationalen Unternehmungen und Institutionen, in denen sich die Kulturgemeinschaft der Friedenszeit verkörpert hatte.
Ein solcher Krieg hätte immer noch genug des Schrecklichen und schwer zu Ertragenden enthalten, aber er hätte die Entwicklung ethischer Beziehungen zwischen den Großindividuen der Menschheit, den Völkern und Staaten nicht unterbrochen." (Ebenda S. 38)
Soweit Freuds anregende Utopie.

Roswitha Dr. Kant ·

Tatsächlich wurden in der Genfer Konvention, dem humanitären Völkerrecht, dem Internationalen Gerichtshof u.a. humanistische Standards verrechtlicht.
Aber weder transnationale Militärbündnisse, Atomwaffen und Verrechtlichungen, noch ein weitgehend gewaltfreies tolerantes Miteinander innerhalb der Staaten verhinderten die jüngsten Kriege in Europa und Nahost.
Was also sind die ursächlichen Kriegstreiber in jedem Einzelnen von uns, in und zwischen den Staaten sowie in den wirtschaftlichen und politischen Strukturen auf nationaler und internationaler Ebene?

Es käme entscheidend darauf an, mit radikalen Fragen und vorurteilsfreien Analysen das Problem differenziert und sachlich darzustellen, um Denkräume zu eröffnen. Damit wahrnehmbar werden kann, was Kant mit dem Mut zum selbstständigen Denken anmahnt:

Krieg darf nicht sein!

Weil Krieg den vernunftbegabten Einzelnen entmenschlicht durch die Missachtung von Freiheit, Autonomie und Würde.
In Zeiten des Anthropozäns ist hinzuzufügen: Weil Krieg die ökologisch-planetaren Lebensgrundlagen der Menschheit zerstört.
Erst in derart entfalteten Denkräumen können wir fragen, was und wie die "kriegstüchtige" wehrhafte Welt (Boris Pistorius, Oktober 2023) transformiert werden kann, damit eine dauerhaft friedfertige Weltgesellschaft möglich wird.

Dennis Hackethal ·

Ich halte mich wie von Ihnen privat gewünscht erstmal mit Kritik zurück und ergänze lediglich:

Während der Staat in Friedenszeiten dem Einzelnen jedes Unrecht untersagt, ihn zu ethisch verantwortlichem Handeln anhält, gibt der kriegführende Staat jedes Unrecht, jede Gewalttätigkeit gegenüber dem Feind frei, er instrumentalisiert, verschuldet und entwürdigt ihn derart.

Roswitha Dr. Kant, Jan 06, 2024 12:04 pm MST

Sie beschreiben hier und teilweise im Folgenden wohl den totalen Krieg, der historisch gesehen wohl relativ neu ist (ich bin auf dem Gebiet jedoch kein Experte). Man könnte ergänzend hinzufügen, dass es auch andere Kriegsführungsmodelle gibt, die zurueckhaltender sind. Beide Seiten koennen sich bspw. im Vorhinein auf Regeln einigen (sog. Konventionen, Sie verweisen weiter unten auf die Genfer). Ob sie sich dann auch ausnahmslos an diese Regeln halten, sei dahingestellt, aber es artet nicht unbedingt jedes Mal in einen totalen Krieg aus. Nicht jede Partei kann sich einen totalen Krieg leisten (sonst hätte Russland beispielsweise längst eine Atombombe auf Kiew geworfen).

Was Sie später zum altgriechischen Kriegsvorbild schreiben, ist beispielsweise kein totaler Krieg.

Wir könnten auch auf Carl von Clausewitz verweisen, der wohl als erster die Kriegstheorie als eine Art angewandte Wissenschaft angesehen hat. Laut Wikipedia findet sich auch hier ein Unterschied zwischen dem sog. absoluten, dem totalen und dem wirklichen Krieg.

Um dem gegenüber eine humanistisch geprägte, zukunftsorientierte Kriegsführung in der enger werdenden globalisierten Welt vorstellbar zu machen, greift Freud zurück auf griechische Kulturgemeinschaften, die den Krieg zwar nicht wollen, ihn aber gleichwohl antizipieren [...]

Roswitha Dr. Kant, Jan 10, 2024 9:19 am MST

Da fällt mir auch das lateinische Sprichwort si vis pacem para bellum ein: Willst du Frieden, dann bereite dich auf Krieg vor.

Roswitha Dr. Kant ·

Ihre Ausführungen veranlassen mich, die Problematik ungeschminkt darzustellen: Sobald die gewaltfreie Kommunikation abgebrochen und der Krieg erklärt wird, verändert sich der Nachbar schlagartig zum Feind. Er wird als Feind gesehen, der bekämpft werden muss wie ein Tier, das einen bedroht. Auch sich selbst behandelt der Schütze entwürdigend. Er reagiert wie ein hungriges oder bedrohtes Tier - nicht wie ein autonomes Vernunftwesen.
Abgesehen von der Situation der Notwehr, wird sich kaum jemand freiwillig entscheiden, ein Gewehr in die Hand zu nehmen, um auf einen Menschen zu schießen, wenn er nicht Empathie, Respekt und Vernunft ausblendet und seinen Affekten folgt. Die kulturelle Veredelung muss also abgestreift werden, noch ehe der Feind ins Visier genommen wird. Das bedeutet nicht, dass der instrumentelle Verstand nicht bestens funktioniert, um ein erfolgreicher Krieger zu sein.

Es zeigt sich also, dass Kants vernunftgeleitete Position ein ernst zu nehmender Widerstand für den kriegführenden Staat darstellt. Deswegen gibt es das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nur in wenigen Staaten. Und die Kriegspropaganda spielt eine sehr wichtige Rolle, um diesen Widerstand aufzulösen. Freud führt aus: "Der einzelne Volksangehörige kann in diesem Krieg (gemeint ist der 1. Weltkrieg, RK) mit Schrecken feststellen, was sich ihm schon in Friedenszeiten aufdrängen wollte, daß der Staat dem Einzelnen den Gebrauch des Unrechts untersagt hat, nicht weil er es abschaffen, sondern weil er es monopolisieren will wie Salz und Tabak." (Ebenda S. 39)

Dennis Hackethal ·

Laut Wikipedia findet sich auch hier ein Unterschied zwischen dem sog. absoluten, dem totalen und dem wirklichen Krieg.

Dennis Hackethal, Jan 13, 2024 9:56 pm MST

Nur der Klarheit halber: Clausewitz selbst hat den Begriff 'totaler Krieg' nicht entworfen, der geht, wie im Wikipedia-Artikel erwähnt, auf Ludendorff zurück. Es wird allerdings im Wikipedia-Artikel zu Clausewitz zwischen den drei genannten Kriegstypen unterschieden.

Dennis Hackethal ·

Wie genau möchten Sie unsere bisherigen Eroerterungen jetzt auf den konkreten Nahostkonflikt anwenden? Welche konkrete Problematik möchten Sie behandeln?

Roswitha Dr. Kant ·

Seit dem 7. Oktober 2023 herrscht im Nahen Osten Krieg. Es stellt sich die Frage, wie diese Region befriedet werden kann oder ob sich hier ein unlösbares Problem auftut? - Was meinen Sie?

Dennis Hackethal ·

Ich kenne mich mit den Details dieses Krieges nicht aus. Allerdings sind Probleme lösbar (David Deutsch), also ist es möglich, Frieden in der Region herzustellen, solange man weiss, wie. Unlösbar ist das Problem also sicher nicht.

Es stellt sich auch die Frage, ob und wieso Israel Frieden mit dem Bösen schliessen sollte. In einem Krieg zwischen Gut und Böse soll Gut gewinnen.

Roswitha Dr. Kant ·

Sind Ihre Behauptungen als Thesen zu verstehen, die Sie genauer ausführen wollen oder handelt es sich um eine letzte Stellungnahme?

Dennis Hackethal ·

Meine Aussagen sind als Antwort auf Ihre Frage gedacht.

Wenn Ausführungsbedarf besteht, gehe ich gerne näher darauf ein, wenn Sie mir sagen, wo dieser besteht.

Oder Sie können meine Aussagen kritisieren.

Roswitha Dr. Kant ·

Sie rufen für eine komplexe Situation ethische Begriffe auf und versprechen die Lösung des Problems. Um Ihre Hinweise handhaben bzw. anwenden zu können, ist es notwendig näher auszuführen, was Sie mit dem "Guten bzw. Bösen" grundsätzlich meinen und was dies konkret für den aktuellen Kriegsprozess und dessen Befriedung heißen kann.
Es geht letztlich um das Tun; nicht nur um eine - mit Verlaub sehr allgemeine - ethische Positionierung. Auch wenn der Philosoph nicht handelt, wird er unglaubwürdig, wenn er reflektierend die Tat nicht antizipiert.

Dennis Hackethal ·

Sie rufen für eine komplexe Situation ethische Begriffe auf und versprechen die Lösung des Problems.

Roswitha Dr. Kant, Jan 30, 2024 7:41 am MST

Ich verspreche das nicht. Ich lege nur dar, dass es moeglich ist, das Problem zu lösen, solange man weiss, wie. Garantien gibt es hier keine.

Sie implizieren, dass man sich ab einer gewissen Komplexität nicht mehr auf die Ethik berufen sollte. Mir ist nicht klar, wieso das der Fall sein sollte. Braucht man nicht besonders in schwierigen Situation die Ethik als Wegweiser?

Zum Guten und Boesen. Ich bin wie gesagt kein Experte, was die beiden Gruppen angeht. Wenn ich allerdings nicht falsch liege, ist Israel ein aufklärerischer Staat, er steht für technologischen Fortschritt, für Frieden; die Israelis wollen keinen Konflikt, wenn sie ihn meiden koennen. Die palaestinensische Führung hingegen verkörpert einen religiösen Fundamentalismus, steht für ein mittelalterliches Weltbild, für Frauen- und Schwulenfeindlichkeit, ist gegen die Aufklärung, will die Juden ausrotten.

Kurz: Israel ist ein westlicher Staat, er will Frieden, Fortschritt und Handel. Er ist eine Insel der Vernunft im nahen Osten. Die palaestinensische Führung hingegen möchte Mord und Totschlag und die Unterwerfung der Ungläubigen und Andersdenkenden. Es sollte also klar sein, wer von den beiden gut ist und wer böse.

Was genau Israel jetzt tun sollte, kann ich wie gesagt nicht sagen. Ich kenne mich mit den Spezifika des Konflikts einfach nicht gut genug aus – da irgendeine Empfehlung auszusprechen, waere nicht seriös. Ich kann lediglich ein paar Denkanstöße liefern, was Israel nicht tun sollte: Sich nicht ausrotten lassen, nicht die andere Wange hinhalten (sagt man das so?), keine Kompromisse schliessen.

Roswitha Dr. Kant ·

Sie beschreiben ein friedliebendes, vernünftiges, konfliktfreies Israel, das jeder guten Willens vor brutalen Angriffen schützen würde, weil es "der gute Staat" ist. Schade nur, dass die Realität so ganz anders aussieht und zwar sowohl innen- als auch außenpolitisch.
Demgegenüber ist die Aggressivität der Hamas nicht zu bestreiten und zu verurteilen. Aber auch hier blenden Sie die Realität aus: Wie konnte die Hamas so mächtig werden?
Welche Funktion hat die Hamas für die zivile Gesellschaft? Wer würde sie freiwillig wählen, wenn er in sicheren Verhältnissen lebte und wenn es denn Wahlen gäbe? Die letzte Wahl fand 2006 statt; seither dominiert die Hamas.
Ihre Situationsbeschreibung erscheint wirklichkeitsfremd und vereinfachend; sie besticht nur auf den ersten Blick: So einfach ist es eben nicht. Sie idealisieren Israel und dämonisieren die Hamas - kein brauchbarer Ansatz, um einen gewalttätigen Konflikt anzugehen.

Dennis Hackethal ·

Bitte nennen Sie einen Weg, wie man Sie davon überzeugen könnte, dass Israel gut und Hamas böse ist.

Roswitha Dr. Kant ·

Rechtfertigen Sie bitte als vernünftig: Die gewalttätige Vergeltung der Israelis von Anschlägen der Hamas ist gut; sie ist auch dann gut, wenn dabei Unschuldige getötet werden.

Dennis Hackethal ·

Die gewalttätige Vergeltung der Israelis von Anschlägen der Hamas ist gut; [...].

Roswitha Dr. Kant, Feb 15, 2024 6:41 am MST

Ja. Sie sprechen von “Anschlägen” – das bedeutet also, dass Hamas der Aggressor ist. Gegen aggressive Gewalt darf sich das Opfer mit defensiver Gewalt verteidigen. Das zugrundeliegende Konzept lautet hier: Notwehr. Schon im alten Rom galt Vim vi repellere licet, also „Gewalt darf mit Gewalt abgewehrt werden.“ Wikipedia schreibt dazu ausserdem:

Im modernen Sprachgebrauch wird oft die Grundsatzformel „Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen“ [...] gebraucht. Einem Angegriffenen ist es grundsätzlich gestattet, sich mit Gewalt zu wehren [...]; er [...] braucht nicht zu weichen.

Zurueck zu Ihrem Text:

Die gewalttätige Vergeltung der Israelis [...] ist auch dann gut, wenn dabei Unschuldige getötet werden.

Roswitha Dr. Kant, Feb 15, 2024 6:41 am MST

Ja. Israel unternimmt gewissenhaft Schritte, um das Sterben Unschuldiger zu vermeiden. Eine lange Liste dieser Schritte finden Sie hier. Beispielsweise mahnt Israel vor Vergeltungsschlägen zu Evakuierungen der entsprechenden Orte, obwohl dies Hamas einen strategischen Vorteil verschafft. Die Hamas sorgt dann aber bewusst dafür, dass diese Evakuierungen nicht stattfinden, wodurch Unschuldige getötet werden. Dies soll die Legitimität Israels reduzieren. Die Hamas nutzt bekanntermassen auch sog. ‘menschliche Schutzschilde’, darunter auch Kinder, was zu noch mehr unschuldigen Toten sowie grausamen Bildern führt. Die westliche Presse sowie Bürger fallen teilweise auf diese Tricks hinein und wollen es dann Israel vorhalten.

Koennte die Hamas Israel das Recht auf Notwehr verweigern, indem Hamas absichtlich den Tod Unschuldiger herbeifuehrt, könnte ebenso jeder Aggressor jeden beliebigen Krieg mit derselben ‘Strategie’ gewinnen. Das könnte also nicht funktionieren.

Habe ich mit diesen Ausfuehrugen Ihre Bedingung erfüllt?

Roswitha Dr. Kant ·

Sie verteidigen die israelischen Vergeltungsmaßnahmen mit Verweis auf israelische Verlautbarungen, also einseitig aus einem Blickwinkel. Ein israelischer Regierungssprecher könnte Ihre kritiklose Sichtweise 1:1 übernehmen.
Wenn ich Sie richtig verstehe, beurteilen Sie alle militärischen Maßnahmen als ok und notwendig, selbst um den Preis ziviler Opfer. Es fragt sich: Notwendig wofür? Sie argumentieren als israelischer Militärstratege nicht als Philosoph u.a. deshalb, weil Sie Gewalt als alleinige Option nicht hinterfragen. Die Ebene der Moral berühren Sie nicht. Ist diese Art der Vergeltung ethisch vertretbar? Ist das gut im moralischen Sinne?

Dennis Hackethal ·

Sie verteidigen die israelischen Vergeltungsmaßnahmen mit Verweis auf israelische Verlautbarungen, also einseitig aus einem Blickwinkel.

Roswitha Dr. Kant, Feb 22, 2024 7:28 am MST

Richard Landes ist laut seinem Twitter-Profil in Jerusalem, das stimmt, aber John Spencer ist nach eigenen Angaben in den USA. Ausserdem verweist Spencer auf die Washington Post sowie New York Times, die beide eher links, also Israel kritisch gegenüber sind.

Der Sinn hinter einer etwaigen Meinungsaenderung ist natuerlich, sich mit der anderen Seite auseinanderzusetzen.

Wenn ich Sie richtig verstehe, beurteilen Sie alle militärischen Maßnahmen als ok und notwendig, selbst um den Preis ziviler Opfer.

Roswitha Dr. Kant, Feb 22, 2024 7:28 am MST

Nein. Sie stellen meinen Standpunkt falsch dar. Es sollte aus meiner vorigen Nachricht bereits klar sein, dass bspw. ein wahlloses Schiessen auf Unschuldige nicht vertretbar waere, sonst hätte ich nicht auf die Vorsichtsmassnahmen Israels verwiesen.

Sie argumentieren als israelischer Militärstratege nicht als Philosoph u.a. deshalb, weil Sie Gewalt als alleinige Option nicht hinterfragen.

Roswitha Dr. Kant, Feb 22, 2024 7:28 am MST

Sie stellen meinen Standpunkt erneut falsch dar. Ich habe weder explizit behauptet noch impliziert, dass Gewalt die alleinige Option sei.

Ich habe auch keinerlei Empfehlungen bzgl. Militärstrategien ausgesprochen. Im Gegenteil hatte ich bereits vorher darauf verwiesen, dass ich generell keine konkreten Empfehlungen aussprechen möchte, weil ich mich mit dem Konflikt nicht gut genug auskenne.

Sie hatten nicht darum gebeten, dass ich Alternativen zur Gewalt beleuchte. Im Gegenteil hatten Sie sich konkret auf die “gewalttätige Vergeltung” bezogen, also bin ich im Versuch, Ihre Bedingung für eine Meinungsänderung zu erfüllen, auf diese Gewalt eingegangen. Es ist nicht fair, dies jetzt im Nachhinein zu kritisieren (s. u.).

Der Klarheit halber: Mein Verweis am Ende darauf, was passieren würde, wenn Israel kein Recht auf Notwehr hätte, war keine strategische Überlegung sondern eine philosophische reductio ad absurdum.

Die Ebene der Moral berühren Sie nicht.

Roswitha Dr. Kant, Feb 22, 2024 7:28 am MST

Doch, die habe ich berührt. Das Gute muss dem Boesen nicht weichen. Um das etwas auszuführen: Ich hatte bereits – wenn nicht in dieser Diskussion, dann in einem unserer Telefonate – auf den objektivistischen Grundsatz verwiesen, dass es in moralischen Angelegenheiten keine Kompromisse geben darf. Hier steht bspw.:

There can be no compromise between a property owner and a burglar; offering the burglar a single teaspoon of one’s silverware would not be a compromise, but a total surrender—the recognition of his right to one’s property.

Die Antwort auf Ihre Fragen “Ist diese Art der Vergeltung ethisch vertretbar? Ist das gut im moralischen Sinne?” ist also ein schallendes ‘Ja’.

Urspruenglich lautete Ihre Bedingung für eine Meinungsaenderung:

Rechtfertigen Sie bitte als vernünftig: Die gewalttätige Vergeltung der Israelis von Anschlägen der Hamas ist gut; sie ist auch dann gut, wenn dabei Unschuldige getötet werden.

Roswitha Dr. Kant, Feb 15, 2024 6:41 am MST

Diese Bedingung habe ich nach jedem vernuenftigen Maßstab erfüllt. Jetzt behaupten Sie Dinge, von denen Sie bereits wissen müssten, dass sie nicht stimmen (s. o.), und fügen im Nachhinein neue Bedingungen hinzu. Sie hatten in Ihrer ursprünglichen Bedingung nicht darum gebeten, die Lage aus nicht-israelischen Blickwinkeln zu beleuchten (obwohl ich dies wie gesagt getan habe). Sie hatten nicht gesagt, dass nur philosophisch und nicht militärisch argumentiert werden darf (auch wenn ich wie gesagt philosophisch argumentiert habe). Sie hatten mich auch nicht gebeten, Alternativen zur Gewalt zu erwähnen, halten mir aber jetzt wie gesagt vor, dass ich dies nicht getan habe.

Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, aber jetzt post hoc die Bedingungen zu aendern, ist keine ehrliche Vorgehensweise und bestätigt meinen Eindruck aus diversen Telefonaten. Daraus schliesse ich, dass es eigentlich egal ist, was ich sage, und diese Diskussion zu nichts führt. Ich beende sie also vorlaeufig.

Wir koennten stattdessen separat diskutieren, wie wir aus solchen Sackgassen rauskommen und wie man ehrlich Bedingungen zur Meinungsänderung kommuniziert. Vermutlich übt sich dies besser bei Themen, in die Sie weniger investiert haben. Das koennen wir dann per E-Mail besprechen.

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